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Möglichkeiten des Urheberrechts

Rechtsanwalt Schoepe über das Recht von Musikern auf "angemessene Vergütung" und die Chancen einer Klage gegen Labels

Interview von Daniel Nagel
veröffentlicht am 18.10.2022

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Rechtsanwalt Schoepe über das Recht von Musikern auf "angemessene Vergütung" und die Chancen einer Klage gegen Labels

Wolf-Dietmar Schoepe ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht in München. © privat

Viele Musiker können von ihrer Arbeit nicht leben, obwohl das Urheberrecht ihnen eine "angemessene Vergütung" zuspricht. Wir sprachen mit Rechtsanwalt Wolf-Dietmar Schoepe über die Möglichkeiten von Musikern von Labels, eine höhere Vergütung zu verlangen - und notfalls auf dem Klageweg durchzusetzen.

Backstage PRO: Herr Schoepe, Sie sind der Meinung, die §32 und §32a Urheberrechtsgesetz (UrhG) könnten Musikern ermöglichen, gegen unangemessen geringe Vergütung vorzugehen. Welchen Hintergrund hat das?

Wolf-Dietmar Schoepe: Das Leitbild der erst 2003 eingeführten §32 und §32a UrhG besteht darin, sicherzustellen, dass Urheber von den Erfolgen profitieren sollen, die aus der wirtschaftlichen Auswertung der Werke entstehen. Sie setzen an unterschiedlichen Punkten an, aber ihnen liegt eine ähnliche Idee zugrunde.

Backstage PRO: Für Musiker ist aber wohl vor allem §32 relevant, nach dem Urheber, aber auch ausübende Künstler wie Musiker, Anspruch auf eine "angemessene Vergütung" haben. Welche Bedeutung hat dieser Paragraph in der Praxis?

Wolf-Dietmar Schoepe: Die ersten Urheber, die sich auf den damals neuen §32 gestürzt haben, waren die literarischen Übersetzer. Die Übersetzer waren der Meinung, dass im Fall eines großen Erfolges mehr Geld erhalten müssten als die branchenübliche Vergütung für Normseiten. Der Übersetzer eines technischen Handbuchs beispielsweise mag mit der Bezahlung pro Normseite einverstanden sein, aber jemand, der Harry Potter übersetzt und beobachtet, dass die deutsche Ausgabe sich millionenfach verkauft, fragt sich natürlich, ob er daran nicht beteiligt werden müsste. Das war aber damals in der Branche nicht üblich.

Backstage PRO: Wie haben die Übersetzer diesen Anspruch auf angemessene Vergütung durchgesetzt?

Wolf-Dietmar Schoepe: Kein Übersetzer verklagt seinen Verlag, weil er damit rechnen müsste, nie wieder einen Auftrag zu erhalten. Viele Übersetzer sind aber in der Gewerkschaft ver.di organisiert und haben einen Musterprozess geführt. Der Rechtsstreit ging letztlich vor den BGH, der entschied, dass Übersetzer weiter nach Normseiten bezahlt werden, jedenfalls solange nicht mehr als 5.000 Exemplare verkauft sind. Wenn mehr Exemplare verkauft werden, erhalten sie eine Beteiligung zwischen 0,4 und 0,8 Prozent vom Netto-Verkaufspreis des Buches. 

Backstage PRO: Wie kann man diese Entwicklungen auf die Musikbranche übertragen?

Wolf-Dietmar Schoepe: Wir sprechen hier vom Leistungsschutzrecht der ausübenden Künstler und deren angemessener Vergütung nach §79 Abs. 2a in Verbindung mit §32 UrhG. Wie hoch soll die Vergütung eines Musikers für seine künstlerische Arbeit sein? Das betrifft zunächst die Online-Verwertung: Die Verträge zwischen Labels und Musikern, die bis Anfang der 2000er Jahre geschlossen worden sind, sahen keine Vergütung für die Online-Nutzung vor, denn der einschlägige §19a UrhG über die öffentliche Zugänglichmachung, der die Online-Verbreitung als neue Nutzungsart anerkennt, wurde erst 2002 in das Urheberrecht aufgenommen. Außerdem bezog sich die Erlösbeteiligung bei Musikern stets auf einen Prozentsatz der Stückzahlen der verkauften Tonträger.

Backstage PRO: Zwischen der Herstellung von Tonträgern und dem Online-Vertrieb gibt es aber wesentliche Unterschiede.

Wolf-Dietmar Schoepe: Genau. Daher stellt sich die Frage, ob es angemessen ist, diese Regelungen auf die Online-Verwertung zu übertragen. Bei der Herstellung physischer Tonträger haben die Labels, die Verträge mit Künstlern abgeschlossen haben, wesentlich größere unternehmerische Risiken. Sie investieren nicht nur in die Tonaufnahmen, sondern auch in das Produkt. Sie haben Herstellungs-, Lager- und Vertriebskosten, die beim digitalen Geschäft entfallen. Diese Kosten müssten mindestens herausgerechnet werden. Niemand hat mir bisher ein Argument liefern können, warum es angemessen ist, dem Künstler die gleiche prozentuale Vergütung bei der digitalen wie der physischen Auswertung zu zahlen.

Backstage PRO: Wie ist es bei den neuen Verträgen? Die sind nicht grundlegend anders, oder?

Wolf-Dietmar Schoepe: Leider ja. Ich habe schon mit allen großen Labels Verhandlungen geführt und spreche immer wieder an, dass die Beteiligung der Künstler am digitalen Umsatz nicht angemessen ist. Aber die Labels erklären dann nur, sie würden das nur so handhaben.

Backstage PRO: Was sollten Musiker tun?

Wolf-Dietmar Schoepe: Musiker haben zwei Möglichkeiten. Erstens besteht die Möglichkeit, den Vertrag nicht zu unterschreiben, was aber kein Musiker will. Das wissen die Labels auch, vor allem wenn es um Musiker geht, die froh sind, einen Vertrag mit einem Label zu erhalten. Also unterschreiben sie. Aber das ist genau der Fall, für den §32 gemacht wurde. Es gibt eine Vergütung, aber sie ist möglicherweise unangemessen.

Backstage PRO: Das betrifft jetzt ausübende Künstler, aber wie ist es mit den Urhebern? Könnten die Urheber, also Komponisten und Textdichter, auch eine höhere Vergütung fordern?

Wolf-Dietmar Schoepe: Da muss man genau trennen. Die Urheber sind in der Regel in der GEMA. Die GEMA lizensiert die Werke an die Streaming-Portale und kassiert dafür Gebühren, die sie an die Urheber ausschüttet. Man kann darüber streiten, ob der Anteil, den die Streaming-Dienste an die Urheber zahlen zu niedrig ist, aber das System ist in sich stimmig. 

Backstage PRO: Es geht also um die Musiker, die die Songs tatsächlich eingespielt haben.

Wolf-Dietmar Schoepe: Genau. In der Praxis sind natürlich viele Musiker beides, ausübende Musiker und Urheber. 

Backstage PRO: Das Problem besteht also darin, dass die ausübenden Musiker möglicherweise nicht angemessen vergütet werden, weil die GVL, die eigentlich die Verwertungsgesellschaft der ausübenden Künstler ist, darauf keinen Zugriff hat.

Wolf-Dietmar Schoepe: Richtig. Das kann man in der Tat so sagen: Die GVL nimmt diese Rechte nicht wahr, da der ausübende Künstler ja einen Vertrag mit einem Label geschlossen hat, das für die Erstverwertung auf Streaming-Portalen zuständig ist. Der ausübende Künstler erhält vom Label eine Vergütung für die erzielten Streams. Die GVL erledigt die Zweitverwertung, wenn der Song beispielsweise im Radio oder Fernsehen gespielt wird.

Backstage PRO: Was sollten ausübende Künstler also machen?

Wolf-Dietmar Schoepe: Ein erfolgreicher Musiker, der nicht mehr allzu aktiv ist, aber gut verdient hat und dessen Musik immer noch ausgewertet wird, müsste vor Gericht ziehen. Es könnte sich sogar um einen Rechtsnachfolger handeln, beispielsweise um Erben. Diese Erben könnten erklären, die Abrechnung des Labels nicht zu akzeptieren und eine Abänderung des Vertrags nach §32 UrhG verlangen. §32 begründet keinen Anspruch auf Geld, sondern führt zu einem Anspruch auf Abänderung des Vertrags. Es heißt im Gesetz: "Soweit die vereinbarte Vergütung nicht angemessen ist, kann der Urheber von seinem Vertragspartner die Einwilligung in die Änderung des Vertrages verlangen, durch die dem Urheber die angemessene Vergütung gewährt wird."

Backstage PRO: Wie soll das in der Praxis funktionieren? Wie wird das Label reagieren, wenn der Musiker ankommt und erklärt, die vereinbarte Vergütung sei nicht angemessen? Warum sollten bereits geschlossene Verträge in Frage stehen?

Wolf-Dietmar Schoepe: Genau diese Diskussion habe ich schon häufig geführt. Ein Labelmitarbeiter erklärte, das sei ja genauso, als wenn ein Wirt ein Schnitzel zum Sonderpreis von 7,99 Euro anbietet, aber nachdem der Gast das Schnitzel gegessen hat, 11,99 Euro verlangt, weil der niedrigere Preis unangemessen sei. Aber hier geht es um urheberrechtliche Fragen. In der Gastronomie kann man davon ausgehen, dass der Gast weiß, wie viel ein Schnitzel in der Regel kostet und wenn der Wirt ihn mit einem günstigen Preis anlockt, ist der Wirt daran gebunden. Das gesamte Urhebervertragsrecht ist aber vom Gedanken bestimmt, dass der Nutzer der Rechte dem Urheber überlegen ist. Er ist nicht nur wirtschaftlich überlegen, sondern auch erfahrener im Umgang mit Verträgen. Deshalb hat der Gesetzgeber sich bemüht, den Urheber im §32 abzusichern.

Backstage PRO: Warum hat der Gesetzgeber das für notwendig erachtet?

Wolf-Dietmar Schoepe: Wir wissen ja, wie Künstler manchmal sind. Zu mir kamen schon Künstler, die erklärt haben: "Ich habe einen Vertrag unterschrieben, aber ich weiß nicht, was drinsteht." Manche Künstler freuen sich unmäßig darüber, wenn sie von einem Major Label unter Vertrag genommen werden und sehen sich die Bestimmungen gar nicht genau an. Erst wenn kein Geld bei ihnen ankommt, obwohl sie in den Charts platziert sind, beginnen sie sich Gedanken zu machen.

Backstage PRO: Was könnte man in einer solchen Situation machen?

Wolf-Dietmar Schoepe: Dann kann man zum Label gehen und eine Vertragsänderung verlangen. Im §32 heißt es: "Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, gilt die angemessene Vergütung als vereinbart." Damit bestimmt das Gesetz unzweideutig, dass es eine urheberrechtliche Leistung zum Nulltarif nicht gibt. 

Backstage PRO: Haben Sie das schon einmal erfolgreich durchgesetzt?

Wolf-Dietmar Schoepe: Nein. Bevor man klagt, macht man sich enorm viele Gedanken, zumal man nie wissen kann, wie das Gericht entscheidet. Wenn das Gericht Gutachten einholt oder der Streitwert sehr hoch ist, kann das auch schnell sehr teuer werden. Ich kenne bislang keinen Musiker, der geklagt hat, aber ich kenne Musiker, die darüber nachdenken. Ich habe mich schon häufig mit Musikern unterhalten, aber ich habe sie auch immer auf die Risiken hingewiesen. Ich will sie ja nicht in etwas reinreiten. 

Backstage PRO: Welche Probleme sehen Sie?

Wolf-Dietmar Schoepe: Die Musiker sind einfach nicht so organisiert, es gibt Verbände, aber sie sind nicht sonderlich finanzstark. Es stellt sich daher die Frage: Wie zieht man das auf? Ich könnte mir vorstellen, dass die Musikindustrie relativ schnell versuchen könnte, das Problem mit einem Vergleich zu lösen, wenn sie den Eindruck haben, dass das jemand ernst meint. Ich weiß aber nicht, ob es schon renommierte Künstler gab, die mit den Labels erfolgreich nachverhandelt haben. Die aktuellen Vergütungsregelungen sind aber definitiv angreifbar. 

Backstage PRO: Man bräuchte aber jemanden mit einem langen Atem.

Wolf-Dietmar Schoepe: Genau. Es müsste jemand den Willen haben, eine solche Klage bis zur höchsten Instanz durchzuziehen. 

Backstage PRO: Die Chancen stünden aber ihrer Auffassung nach nicht schlecht.

Wolf-Dietmar Schoepe: Ich persönlich halte die Beteiligung an digitalen Erlösen, welche die Musiker akzeptieren sollen, für unangemessen niedrig.

Backstage PRO: Bisher gibt es keinen Musiker, der eine solche Klage gewagt hat, aber sehr wohl einen Kameramann: Seit vielen Jahren versucht Jost Vacano aufgrund des sog. Fairnessparagraphen 32a Urheberrechtsgesetz (UrhG) eine zusätzliche Vergütung seiner Arbeit für den Filmklassiker “Das Boot” vor Gericht durchzusetzen. Was hat es mit diesem Fairnessparagraphen auf sich?

Wolf-Dietmar Schoepe: §32a betrifft Fälle, in denen ein Urheber mit einem Nutzer einen Vertrag geschlossen hat und diesem gegen eine angemessene Vergütung Rechte an seinem Werk eingeräumt hat. Genau dieser Fall lag bei Jost Vacano vor, der in den 1980ern ein sehr gefragter Kameramann war. Für seine Tätigkeit als Chef-Kameramann von "Das Boot" erhielt er eine sechsstellige Summe in Form einer pauschalen Vergütung. Der Urheber, in diesem Fall Vacano, bekam das Geld in Form einer hohen Einmalzahlung und der Vertragspartner, die Filmproduktionsfirma Bavaria Film, erhielt die Nutzungsrechte.

Backstage PRO: Ein fairer Deal könnte man meinen.

Wolf-Dietmar Schoepe: Genau. §32a kommt erst viele Jahre später ins Spiel, genauer gesagt dann, wenn der Nutzer das Werk des Urhebers sehr viel länger und ausgiebiger genutzt hat, als es beim Abschluss des Vertrags zu erwarten war. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass der finanzielle Vorteil des Nutzers aufgrund des überragenden Erfolgs und der damit verbundenen Einnahmen in keinem Verhältnis zur ursprünglichen Vergütung steht.

Backstage PRO: Da der Film ein so gigantischer Erfolg war und beispielsweise immer noch in vielen Ländern auf der Welt im Fernsehen gezeigt und auf andere Weise ausgewertet wird, was man damals nicht wissen konnte, ist die ursprünglich faire Vergütung aus rechtlicher Sicht im Rückblick zu wenig, weil die Filmproduktionsfirma enorm viel Geld verdient hat. Ist das so richtig?

Wolf-Dietmar Schoepe: Ja. Der Nutzer, also die Filmproduktionsfirma, muss zunächst die Kosten des Films  refinanzieren und erzielt erst danach Gewinne. Bei einem Film wie "Das Boot" beginnt sie aber irgendwann, sich eine goldene Nase zu verdienen. Und von diesem Kuchen soll der Urheber nach dem Willen des Gesetzgebers ein Stück abbekommen. Das gilt besonders natürlich für die großartigen Bilder von Jost Vacano, die sicherlich sehr wesentlich für den Erfolg des Films waren.

Backstage PRO: Könnte Klaus Doldinger, der die Filmmusik für "Das Boot" geschrieben hat, ebenfalls Nachforderungen stellen?

Wolf-Dietmar Schoepe: Die ebenfalls großartige Filmmusik von Klaus Doldinger ist ein sehr schönes Gegenbeispiel für die unterschiedliche Situation in verschiedenen Bereichen des Urheberrechts. Im Gegensatz zu Vacano musste sich Doldinger um nichts kümmern, denn Doldinger hat mit jeder Form der Auswertung des Films automatisch mitverdient. Das liegt daran, dass es die GEMA gibt, die bei jeder Auswertung Lizenzgebühren erhoben hat, egal ob es sich um Kino, Fernsehen, VHS-Kassette, DVD, Blu-Ray oder Streaming handelt. 

Backstage PRO: Weil es keine Verwertungsgesellschaft für Kameramänner gibt?

Wolf-Dietmar Schoepe: Es gibt die VG-Bild-Kunst, die ist aber nur für die Zweitverwertung zuständig, hier geht es aber um die Erstverwertung. Diese Rechte nimmt die VG-Bild-Kunst nicht wahr. Das ist der große Vorteil der Musikurheber, dass sie eine derart stark ausgeprägte Verwertungsgesellschaft an ihrer Seite haben.

Backstage PRO: Herzlichen Dank für das Gespräch!

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