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Der "Verweigerer"

Warum Hannes Wittmer (Spaceman Spiff) Konzerte auf Spendenbasis spielt und sein Album verschenkt

Interview von Ole Löding
veröffentlicht am 18.10.2019

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Warum Hannes Wittmer (Spaceman Spiff) Konzerte auf Spendenbasis spielt und sein Album verschenkt

Hannes Wittmer im Gespräch mit Backstage PRO-Autor Ole Löding. © Foto: Timo Klein

Hannes Wittmer verweigert sich der üblichen Musikmarktlogik. Anstatt nach seinem größten Erfolg direkt nachzulegen, erklärte er per Newsletter, den erfolgreichen Alias "Spaceman Spiff" auf Eis zu legen: "Ich bin dann mal raus...". Unter seinem bürgerlichem Namen kehrt er zurück, verschenkt Musik und gibt Konzerte auf "Pay what you want"-Basis. Warum?

Der menschengemachte Klimawandel ist als Thema auf der Tagesordnung. Drängende Fragen zu unserem gegenwärtigen Wirtschaftssystem sowie seinen ökologischen und sozialen Folgen sind Gegenstand von weltweiten Demonstrationen ebenso wie von politischen Beschlüssen. Aber was ist mit dem Einzelnen? Welche Handlungsoptionen bieten sich? Und welche Verantwortung tragen insbesondere Musikerinnen und Musiker als Vorbilder und Multiplikatoren?

Konsequenter als viele andere hat der Würzburger Songschreiber Hannes Wittmer über diese Fragen nachgedacht. Unter dem Künstlernamen Spaceman Spiff ist er in den letzten zehn Jahren zu einem der profiliertesten Indiemusiker des Landes geworden. Das 2014 erschienene "Endlich Nichts" gilt vielen Kritikern und Fans als ein prägendes Album der 2010er Jahre.

Die nachhaltig beeindruckende Platte über das erschöpfte, selbstoptimierte Leben in der Großstadt und die Suche nach Utopien erschien auf dem renommierten Hamburger Label Grand Hotel van Cleef. Ausverkaufte Konzerte, TV-Auftritte und begeisterte Kritiken folgten. Dann der Bruch… Eine eklektische englischsprachige Platte unter dem Projektnamen Otago folgte, dann eine lange Stille.

Zurück kehrte Hannes Wittmer mit einem kompletten Neuanfang. Das aktuelle Album "Das große Spektakel" verschenkt der Songwriter als Download auf seiner Homepage. Konzerte spielt er, selbst in großen Hallen und mit vollem Band-Set-up, nur noch auf "Pay what you want"-Basis. Wie kam es zu diesem Entschluss? Wie sind die Reaktionen? Und was möchte er erreichen?

Viel Gesprächsbedarf für eine Unterhaltung mit Hannes Wittmer. Vor einem Konzert in Solingen stand er uns Rede und Antwort.

"Deine Musik ist ein Produkt. Alle erwarten, dass du immer mehr Platten verkaufst"

Backstage PRO: Wie entstand dein aktuelles Album "Das große Spektakel"?

Wittmer: Das Album ist über einen längeren Zeitraum entstanden. Manche Songs wie "Rom" oder "Norden" sind schon zwei, drei Jahre alt, andere sind neuer. Auch schon auf dem Album davor "Endlich Nichts" ist die Frage, wie gesellschaftliche Veränderungen möglich sind, wichtig. "Das große Spektakel" ist da eine Weiterentwicklung.

Backstage PRO: Gab es einen konkreten Auslöser, nach dem erfolgreichen Vorgängeralbum einen Bruch vorzunehmen und deinen Beruf als Musiker so grundlegend zu hinterfragen?

Wittmer: Ich habe ja sieben, acht Jahre lang wahnsinnig viele Konzerte gespielt und hatte schließlich das Bedürfnis, mal alles auf null zu stellen. Zwischendurch habe ich als Otago ein englischsprachiges Album aufgenommen. Nach der Otago-Platte habe ich mir ein paar Monate Zeit genommen, jeden Tag ein paar Stunden Podcasts zu hören, viel zu lesen, mir Vorträge anzuschauen. Das wurde eine Phase, in der ich mich zunehmend politisiert habe.

Backstage PRO: Was meinst du mit Politisieren?

Wittmer: Diese Zeit führte dazu, dass ich anfing, unheimlich viele Dinge zu hinterfragen. Zum Beispiel habe ich mich viel mit den Strukturen und den gesellschaftlichen Folgen des Kapitalismus beschäftigt. Und daraus folgte die nächste Frage: Was ist eigentlich mein Anteil an den Mechanismen des Kapitalismus? Was passiert eigentlich, wenn ich mit meiner Musik eine Platte verkaufen möchte? Mir wurde klar: Dann folge ich letztlich auch einer Marktlogik und verkaufe ein Produkt. Ich werde Teil einer Struktur, in der Leistungsdruck, Konkurrenzdenken zählen und vor allem Wachstum das Wichtigste ist. Deine Musik ist ein Produkt. Alle erwarten, dass du immer mehr Platten verkaufst oder größere Konzerte spielst.

"Man muss unterscheiden zwischen einem Label, bei dem Menschen arbeiten, und mir als Einzelperson."

Backstage PRO: Wie entstand dann die Idee, deine Musik zu verschenken?

Wittmer: Ich habe für mich einen Ausweg aus diesen Automatismen gesucht. Daraus entstand dann die Idee, dass ich meine Konzerte auf "Pay what you want"-Basis spiele und es meine Musik nirgends mehr als Produkt zu kaufen gibt. Auch nicht auf Spotify oder sonst wo. Statt dessen kann man sie kostenlos herunterladen, aber nur auf meiner Homepage. Das ist der Versuch, meine Musik einer Warenlogik zu entziehen.

Backstage PRO: Bei Vinyl-Alben machst du eine Ausnahme. Man kann Exemplare über deinen Verlag bestellen. Ist das, weil doch viele Fans etwas in der Hand haben wollen?

Wittmer: Ja, das habe ich auch gemerkt und auch dazu muss ich mich verhalten. Und ich selbst finde ja Vinyl als Medium auch toll. Wir haben dann die Lösung gefunden, dass meine Freunde vom Hamburger mairisch Verlag das Album als Vinyl anbieten und sämtliche Gewinne an "Ärzte ohne Grenzen" spenden. Auf meinen Konzerte verteile ich das Booklet des Albums kostenlos, damit meine Hörerinnen und Hörer zu dem Download auch etwas in der Hand halten können. Außerdem kaufe ich Platten vom mairisch Verlag ab und biete sie am Merchtisch gegen eine freiwillige Spende an. Natürlich ist das keine 100 Prozent "saubere" Lösung. Aber irgendwie muss ich anfangen. Die Alternative wäre, sich weiterhin nur darüber zu streiten, was nicht ganz "sauber" ist, und dann gar nicht zu handeln.

Backstage PRO: Zu sagen: "Dieses Geschäft mit Musik mache ich nicht mehr mit", die Einnahmen des Tonträgers spende ich, ist ja nicht nur mutig, sondern auch eine Provokation. Wie hat dein Label reagiert?

Wittmer: Ich habe als erstes mit meinem Label "Grand Hotel van Cleef" gesprochen. Die fanden es natürlich schade, dass ich mein Album nicht bei ihnen veröffentlichen wollte. Aber die sind ja auch selbst sehr politisch und hatten durchaus Verständnis für meine Haltung. Und wenn man sich anhört, was Kettcar mit dem letzten Album gemacht haben, dann merkt man, dass ähnliche Themen, wie sie mich beschäftigen, dort auch präsent sind. Aber man muss auch unterscheiden zwischen einem Label, bei dem Menschen arbeiten, die Familie haben, die morgens irgendwie das Brot auf den Teller bekommen müssen, und mir als Einzelperson. Ich kann anders handeln. Und man muss sagen: Das Grand Hotel macht weiter mein Booking, das finde ich super.

"Es ist eine Reaktion auf die Widersprüche, die ich an mir selbst wahrnehme"

Backstage PRO: In deinem Blog und durch Ansagen auf Konzerten machst du sehr deutlich, dass es Dir nicht um eine fertige Philosophie geht, sondern darum, eine Diskussion zu starten über die Möglichkeiten den Einzelnen zu handeln.

Wittmer: Für mich ist die Entscheidung, meine Musik zu verschenken oder auf "Hut" zu spielen wirklich zunächst erst mal der Versuch, überhaupt zu Handeln. Ohne dass ich final sagen könnte, was das ist letztlich ist – eine politische Tat, ein Experiment, ein Kunstprojekt, ein künstlerischer Befreiungsschlag?

Es ist eine Reaktion auf die Widersprüche, die ich an mir selbst wahrnehme. Wir alle haben uns tausend Dokumentationen über die Auswirkungen des Kapitalismus auf den Planeten angeschaut, gucken "Die Anstalt", das Rezo-Video oder Böhmermann. Und trotzdem bleibt dieser Widerspruch zwischen dem eigenen Handeln und dem Wissen, was das individuelle Handeln für Folgen hat. Der erste Gedanke ist doch oft: "Ne, das geht nicht, ne, so man kann das nicht machen." Aber ich finde, es ist ganz wichtig, an so vielen Stellen wie möglich, "Testballons" steigen zu lassen. Etwas Neues auszuprobieren. Nur so entsteht Veränderung.

Backstage PRO: Also geht es dir weniger um eine spezifische Kritik an den Strukturen der Musikindustrie als um einen grundsätzlichen Denkanstoß gegenüber unserem ökonomischen System?

Wittmer: Ja, weil ich grundsätzlich das Gefühl habe, dass sich unsere Art des Wirtschaftens, aber auch wie wir unsere Gesellschaft organisieren, über die letzten Jahrzehnte, vielleicht auch Jahrhunderte, so dermaßen festgefahren hat, dass sich niemand mehr vorstellen kann, dass Gesellschaft vielleicht auch anderes funktionieren könnte. Diese "Alternativlosigkeit" ist aber nur eine Möglichkeit, die Gesellschaft zu verstehen. Und ich versuche augenblicklich mit meinem – natürlich kleinen – Wirkungsgrad und in meinem Tätigkeitsfeld als Musiker eine Art Gegenerzählung anzubieten. Zu sagen und zu zeigen: Es gibt die Möglichkeit, sich anders zu verhalten.

Hannes Wittmer im Gespräch mit Backstage PRO-Autor Ole Löding

Hannes Wittmer im Gespräch mit Backstage PRO-Autor Ole Löding, © Foto: Timo Klein

Backstage PRO: Hoffst du, dein Publikum oder auch andere Musikerinnen und Musiker zu Verhaltensänderungen anzuregen?

Wittmer: Ich glaube, was ich mir zunächst wünschen würde, wäre, dass sich Menschen öfters mal Zeit nehmen, innezuhalten und zu reflektieren. Dinge zu hinterfragen. Ich weiß, dass das echt schwierig ist, wenn man in einem 9-to-5 Job drinsteckt und auch, dass nicht jeder den Luxus hat, sich die Zeit zu nehmen, um ein paar Monate nachzudenken. Aber ich bin überzeugt davon, dass es nicht reicht, nur auf politische Veränderungen zu warten. Es ist auch notwendig, individuell aktiv zu werden. Und vielleicht ist es ja so, dass ich den Leuten, die meine Musik hören oder zu meinen Konzerten kommen, etwas Mut geben kann zu denken: Ja, man kann auch individuell mal etwas probieren. Und das kann dann funktionieren.

Backstage PRO: Ein verändertes Handeln, dass aber zwangsläufig innerhalb des bestehenden ökonomischen Systems stattfindet.

Wittmer: Natürlich ist es fast unmöglich, sich vollständig aus der Marktlogik herauszuziehen. Wir alle müssen Geld verdienen, um unsere Miete und unser Essen zu bezahlen. Und wenn ich – ganz egal ob ich Musiker bin oder etwas anderes tue – etwas Hochwertiges schaffen will, brauche ich Zeit und Geld. Und dann muss ich natürlich schauen, wie ich Einnahmen generiere.

Backstage PRO: Also geht es nicht ohne Kompromisse im alltäglichen Handeln?

Wittmer: Ich glaube, man wird bescheuert, wenn man einen ganzheitlichen Anspruch an sein gesamtes Handeln stellt. Es gibt so viele Konfliktzonen, so viele Widersprüche. Wenn Du an all diesen Stellen für Dich selbst Veränderungen starten würdest, dann müsstest Du entweder in den Wald ziehen oder Du wirst verrückt und zerbrichst an den Widersprüchen. Da finde ich den Ansatz schön, Schritt für Schritt zu schauen, wo ich handeln kann. Wo ich in meinem Tätigkeitsfeld vielleicht einen Hebel habe, eine Gegenerzählung zu erzählen.

"Je bekannter du wirst, desto abgeschotteter wirst du"

Backstage PRO: Trotzdem müssen für dich als Musiker Albumaufnahmen oder Konzertreisen finanziert werden. Menschen spenden dir Geld, andere zahlen für die Konzerte. Wie stehst du zu Crowdfunding oder Patreon?

Wittmer: Ich habe da drüber nachgedacht, aber ich wollte nicht, dass zwischen meinen Hörerinnen und Hörern und mir irgendwelche Bedingungen eingezogen werden. Patreon beispielsweise hat ja auch schon wieder eine Exklusivität. Jemand zahlt und erhält dadurch einen Log-In und exklusive Inhalte. Das wollte ich nicht. Ich wollte meine Musik bedingungslos für alle anbieten. Und die Verbindung zwischen meinem Publikum und mir soll auf Vertrauen und Solidarität basieren. Wer sich bei mir bedanken möchte oder wichtig findet, dass ich Musik mache, kann mir dabei helfen durch einen Spendenbutton auf meiner Webseite oder durch einen Beitrag zum Konzert, aber es soll eben keine Bedingung sein, meine Musik zu hören. Das ist dann Teil der Verweigerung von ökonomischen Regeln.

Backstage PRO: Gab es Vorbilder für dich einen solchen Schritt zu wagen?

Wittmer: Für mich war Amanda Palmer schon ein Einfluss. Es gibt einen TED-Talk aus dem Jahr 2013 von ihr, in dem sie sagt, dass eine wichtige Aufgabe von Künstlerinnen und Künstlern in der Gesellschaft war und ist, ein Bindeglied zu sein zwischen den unterschiedlichen Menschen. Diese Sicht auf das Kunstschaffen finde ich schön. Aber sie funktioniert nicht mehr, wenn du dich der Wachstumslogik des Marktes unterwirfst. Dann spielst du möglichst große Locations, die Bühnen werden größer, der Bühnengraben wird breiter, der Backstage-Raum ist weit weg von den Fans, erst recht bei Festivals. Je bekannter du wirst, desto abgeschotteter wirst du. Da geht die Kommunikation zwischen mir und dem Publikum verloren.

Backstage PRO: Ist das auch ein Grund, warum ich deine Musik ausschließlich auf deiner persönlichen Homepage finde, nicht bei Spotify, iTunes, Amazon oder sonstwo im Handel?

Wittmer: Ja. Dadurch, dass ich den Rahmen stecke, wo man meine Musik wahrnimmt, kann ich auch dafür sorgen, dass meine Haltung klarer wird und einen Ort für Kommunikation schaffen. Die Songs sind nicht irgendwo auf Spotify verstreut, sondern finden sich nur im Kontext mit meinen Blogeinträgen auf meiner Homepage.

Backstage PRO: In deinem Blogtext "Über Geld spricht man nicht – Hat es sich gelohnt?" hast du – selten genug im Musikbusiness – die Zahlen zu deiner letzten Tour offengelegt. "2797 Menschen haben insgesamt 44.223 € gezahlt, was einem durchschnittlichen Eintritt von 15,81 € (brutto) pro Person entspricht". Den netto Reingewinn bezifferst du darin mit 374,78 €. Hat es sich denn gelohnt?

Wittmer: Es sind schon gut ein Drittel weniger Zuschauer gekommen. Vermutlich durch den Namenswechsel, aber auch dadurch, dass man im Vorfeld keine Tickets kaufen konnte und dadurch keine Verbindlichkeit entstand, wirklich hinzugehen. Mir ist auch klar, dass ich mit meinem Experiment letztlich weniger Menschen erreiche als vorher, aber mir ist aufgefallen, dass dadurch in den letzten Monaten die Intensität des Austausches höher geworden ist – durch Gespräche vor oder nach Konzerten oder über viele Nachrichten. Und zwar beidseitig. Das finde ich schön.

Backstage PRO: Danke für deine Zeit. Wir wünschen dir weiterhin viel Erfolg!

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