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Schneller, höher, weitere Reichweite?

"Sped up" Songs trenden dank Social Media, Major Labels spielen mit

Spezial/Schwerpunkt von Antonia Freienstein
veröffentlicht am 16.06.2023

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"Sped up" Songs trenden dank Social Media, Major Labels spielen mit

© Techivation via Pexels

In der heutigen Musiklandschaft, in der täglich unzählige Tracks auf Streamingdiensten veröffentlicht werden, suchen Künstler/innen und Labels unablässig nach innovativen Wegen, um ihre Songs relevant zu halten. Eine interessante Strategie scheinen Warner und Universal entwickelt zu haben - sie betreiben mehr oder minder geheime Spotify-Accounts, auf denen sie Remixes bereits existierender Songs verbreiten und machen sich damit einen populären Trend zunutze.

“Überlegt euch, ob ihr weitere Versionen eurer Songs veröffentlicht” - dieser Tipp befindet sich in einem kürzlich veröffentlichten Artikel zum Thema Post-Release-Strategien von Backstage PRO-Autor Julian Schmauch.

Als Beispiele nennt Schmauch etwa Akustikversionen, Remixe in anderen Genres, Features mit Gastsänger/innen oder schneller abgespielte Versionen des Originalsongs. Durch dieses Vorgehen sollen bereits veröffentlichte Songs relevant bleiben und ein breiteres Publikum erreichen.

Ein anhaltender Trend

Tatsächlich gibt es insbesondere für schneller abgespielte Versionen von Songs viele Abnehmer/innen. 

Sogenannte “Nightcore”-Songs, bei denen es sich um etwa 30 bis 50 Prozent beschleunigte Versionen eines Titels handelt, erfreuten sich bereits in den frühen 2000ern großer Beliebtheit. Etwa zehn Jahre später waren sie insbesondere in den Anime- und Mangaforen auf Youtube stark verbreitet. 

Aktuell finden sich gerade auf TikTok zahlreiche Fans der Songs, die inzwischen meistens ganz simpel als “Sped up”, also als "beschleunigte" Versionen bezeichnet werden. Wie populär diese Tracks sind, zeigt sich daran, dass die Songs immer wieder in den plattformeigenen Trends auftauchen. Auch bereits ältere Songs wie Amy Macdonalds "This is the Life" von 2007 leben hier auf diese Art und Weise wieder auf. 

Dass TikTok-Trends die Plattform gerne verlassen und das Musikbusiness grundsätzlich beeinflussen, ist nichts Neues. So verzeichnen Spotify Playlists, die sich “Nightcore” oder “Sped up” Songs widmen, mehrere Millionen Follower.

Die Veröffentlichung eines Songs mit schnelleren Beats und hochgepitchten Vocals sei eine “einfache und kostengünstige Möglichkeit, einem Song Leben einzuhauchen”, betont Justin Horowitz, Vizepräsident für Künstlerbeziehungen des Musikunternehmens Crowd Surf, in einem Artikel des Business-Magazins Bloomberg.

Beliebt und gefürchtet

Allerdings bringt die Einfachheit der Produktion auch eine Schattenseite mit sich. Denn tatsächlich sind es oft gar nicht die Künstler/innen und deren Labels selbst, die die Nightcore- und Sped up-Versionen ihrer Songs veröffentlichen. Gerade in der Anfangsphase von Nightcore Musik wurde diese häufig von Fans der Künstler/innen selbst und ohne kommerzielle Absichten hergestellt. 

Inzwischen nutzen jedoch immer mehr Personen diese Möglichkeit auch für eigene kommerzielle Zwecke. So oder so: In diesen beiden Fällen erhalten Künstler/innen und Labels für die veränderten Versionen ihrer Songs keine Vergütung.

Eine zusätzliche Gefahr besteht für Künstler/innen und Labels darin, dass aufgrund der wachsenden Menge an auf Streaming-Plattformen veröffentlichten Versionen ihrer Songs die Aufmerksamkeit von ihren echten, eigenen Veröffentlichungen abgelenkt wird. 

Die Major Labels steigen ein

Um das zu verhindern, sind Major Labels wie die Warner Music Group (WMG) und die Universal Music Group (UMG) auf den Remix-Trend aufgesprungen und haben selbst “Sped up” Versionen auf eigenen Spotify Accounts veröffentlicht. Damit profitieren sie und die bei ihnen unter Vertrag stehenden Künstler/innen von der ungebrochenen Nachfrage und erzielen ohne großen Aufwand zusätzliche Einnahmen.

Der Account, der der Warner Music Group zugeschrieben wird - “Sped up Nightcore” - erreicht Stand Juni 2023 monatlich immerhin 15,5 Millionen monatliche Hörer/innen. Damit befindet er sich zu diesem Zeitpunkt auf Platz 424 der Spotify Trends. 

Auch Universals “Speed Radio” zeigt sich erfolgreich. Stand Juni 2023 vermeldet der Account über 10,3 Millionen monatliche Hörer/innen. Der beliebteste Track ist dabei mit etwa 73,6 Millionen Streams eine schnellere Version von Ellie Gouldings Song "Lights". Auch ganz vorne mit dabei: eine ebenfalls beschleunigte Version von Lana del Reys "Summertime Sadness". 

"Summertime Sadness" ist dabei jedoch nicht das einzige Werk del Reys, das sich einen Namen in der "Sped up"-Szene gemacht hat. So ging 2022 eine beschleunigte Version ihres dato noch unveröffentlichten, jedoch seit 2016 im Netz kursierenden Songs "Say Yes To Heaven" auf TikTok viral.

Nachdem das Werk Anfang 2023 urheberrechtlich geschützt wurde, veröffentlichte del Rey im darauffolgenden Mai sowohl die ursprüngliche Fassung des Liedes sowie dessen beschleunigte Version auf einigen digitalen Streaming Plattformen.

Underground unterwegs

Während Lana del Reys Song jedoch auf ihrem offiziellen Spotify Profil erscheint, lässt sich ein Zusammenhang zwischen Warner bzw. Universal zu ihrem jeweiligen Spotify Remix-Account nicht auf den ersten Blick erkennen. 

Warner Musics “Sped up Nightcore” etwa verlinkt lediglich einen Instagram-Account, der zunächst den Anschein erweckt, durch eine Privatperson betrieben zu werden.

Das Profilbild des Accounts deutet eine Frau in rosa Kleid an, deren Gesicht sich jedoch außerhalb des Bildes befindet. In der Profil-Biographie sind der Name “bibiwiti” sowie die Pronomen “she/her” vermerkt. Insgesamt hat @spedupnightcore 187 Follower, folgt selbst jedoch niemandem und hat trotz öffentlichem Profil noch nie etwas gepostet.

Aktiv auf Social Media

Universals “Speed Radio” macht zunächst einen etwas offiziellen Eindruck. Neben einem Instagram Account wird hier auch auf ein Facebook- sowie ein Twitter Profil verwiesen. Während der Facebooklink ins Leere führt, ist "Speed Radio" auf Instagram und Twitter sogar recht aktiv. 

Der erste Instagram-Post wurde dabei am 15. Mai veröffentlicht und kündigt einen durch den Künstler xxtristianxo hergestellten Remix des The Weeknd Songs “Die for you” an. Während der Instagram Account von “Speed Radio” lediglich 19 Follower aufweist, folgen xxtristianxo immerhin 22,100 Accounts. Auch dieser kündigt die neue Songversion in einem Post an, verlinkt jedoch lediglich The Weeknd selbst. 

In dem zu diesem Zeitpunkt aktuellsten Post bewirbt “Speed Radio” das eigene Angebot mit folgenden Worten: “Sped Up Songs: Official Remixes from Viral Creators and Speed Radio”. 

Während “Sped up Nightcore” also den Anschein vermittelt, als einzelne Privatperson aktiv zu sein, stellt sich “Speed Radio” als ein Projekt vor, das in Zusammenarbeit mit verschiedenen viralen Content-Ersteller/innen steht.

Versteckte offizielle Kanäle

Bei näherer Betrachtung lässt sich feststellen, dass "Sped up Nightcore" auf Spotify ausschließlich Artists präsentiert, die bei Warner unter Vertrag stehen. Bei "Speed Radio" wiederum sind lediglich Artists von Universal zu hören, wie sich aus den ordnungsgemäß vermerkten Credits der jeweiligen Songs entnehmen lässt.

Auch der Fakt, dass beide Accounts zum Großteil die offizielle Coverart der ursprünglichen Titel benutzen, spricht stark dafür, dass diese Accounts von den Major Labels in Übereinstimmung mit den jeweiligen Künstler/innen betrieben werden.

Durch weitere Recherche lässt sich “Speed Radio” auf der italienischen Webseite der Universal Music Group finden. Auch hier sind etwa Werke in Zusammenarbeit mit xxtristianxo vermerkt.

In einem kürzlich erschienenen Artikel des Online-Magazins Music Business Worldwide kommt schließlich Mike Biggane, der weltweit für "Music Strategies and Tactics" bei UMG verantwortlich ist, auf “Speed Radio” zu sprechen und räumt die letzten Zweifel aus dem Weg. 

Er betont, dass "Speed Radio" das einzige legitime Kollektiv sei, das Künstler/innen und Content-Ersteller/innen zu kommerzielle Veröffentlichungen von Remixes von "Superstar-Künstler/innen" wie etwa The Weekend, Kim Petras oder Sam Smith ermögliche.

Von Warner gibt es bislang keine ähnliche Verlautbarung zu "Sped up Nightcore", aber die Ähnlichkeit zu Universals "Speed Radio" ist unbestreitbar.

Ein lukratives Geschäft

Für die Major Labels ist das Vorgehen, eigene Remix-Accounts zu betreiben, auf jeden Fall eine Win-Win Situation. Beschleunigte oder auch verlangsamte Versionen von bereits existierenden Songs zu produzieren ist kostengünstig, einfach und effektiv. 

Dadurch, dass die Remix-Versionen der Songs zudem lediglich auf ihrem eigenen Account hochgeladen werden, könnten Fans eines bestimmten Songs somit auf den restlichen Song- und Artistkatalog des Labels aufmerksam werden. 

Warum genau die beiden Labels ihre Accounts jedoch derart verdeckt handhaben, ist unklar. Möglicherweise soll so auf den ursprünglich wenig kommerziellen DIY Charakter der Nightcore-Szene eingegangen werden. 

Ashley Carman, Autorin des Bloomberg Artikels stellt zudem die Vermutung auf, verdeckt geführte Accounts würden Labels die Möglichkeit bieten, in den beliebten TikTok-Musiktrend einzusteigen, ohne den Eindruck zu vermitteln als würden ältere Millennials oder Gen Xers in das Territorium der “coolen Kids” eindringen. 

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