Chancen ohne Signing
Warum du keinen Major-Deal mit einem großen Label brauchst, um erfolgreich zu sein
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Chancen ohne Major-Deal. © Free-Photos / pixabay
Der Wunsch nach einem Major-Deal ist nicht verwunderlich, schließlich hat er durchaus das Potential, Leben umzukrempeln und ein maßgeblicher Schritt in eine vielleicht gar weltumspannende Musikkarriere zu sein, von der Millionen träumen.
Dass dieser Traum auch Schattenseiten hat, muss man in heutigen, glücklicherweise etwas transparenteren Zeiten lediglich am Rand erwähnen, denn trotz vieler positiven Entwicklungen ist die Musikindustrie immer noch voll von festgefahrenen Prozessen und Verzwickungen, die nicht frustlos an aufstrebenden Künstlern vorbeigehen.
Das Internet hat zudem noch so einige scheinbare Selbstverständlichkeiten einfach mal beiseite geschoben: Was früher nur eine ganze Armee an Marketingabteilungen, A&Rs und Radioplays dank Vitamin B vollbringen konnte, kann heute unter anderem ein simpler Soundcloud-Upload ebenso hinbekommen – sehr vereinfacht gesagt. Es gibt natürlich auch Vorteile, bei einem großen Label zu unterschreiben, aber in den meisten Fällen solltet ihr die Vor- und Nachteile ganz genau abwägen und gegebenenfalls einen anderen, passenderen Pfad für euch einschlagen.
Die Liste erfolgreicher Musiker, die sich gegen Majors entscheiden und lieber eigene Strukturen aufziehen, wächst immer weiter und ihre vielen Erfolgsgeschichten beweisen, wie goldrichtig sie damit lagen! In den folgenden Punkten gehen wir darauf ein, warum das so ist.
1. Warum du für Majors nur einer von vielen bist
Die paradiesisch anmutende Idealvorstellung vieler ist, dass einem nach Unterschreiben eines Deals alle Mühen abgenommen werden und man sofort die erste Geige spielt. Dass man aber nur ein Signing von vielen anderen ist, könnte anfangs daher recht ernüchternd sein, denn Major-Labels nehmen unzählige Künstler fortlaufend unter Vertrag! Von vielen Signings hört man nur nichts mehr, was unterschiedliche Gründe haben kann. Majors veröffentlichen schließlich eine Menge Musik – manchmal auch nur um zu sehen, was hängen bleibt.
Grob gesagt: Wenn ein Label beispielsweise 10 Acts unter Vertrag nimmt und nur ein paar davon auch tatsächlich kommerziell erfolgreich werden, hat sich das Ganze oft gelohnt – simple Ökonomie. Die anderen "Investionen“ werden dann sang- und klanglos später als Steuerabschreibungen verbucht.
Als neues Signing kämpft man daher stets um eine bessere Priorität, denn nur so profitiert man tatsächlich von der massiven Power der Major-Maschinerie, die dahintersteckt. Wenn sich euer Debüt also anfangs nicht verkauft oder ihr euer vollständiges Potential noch nicht ganz entfalten konntet, könntet ihr dennoch demnächst vom Label vor die Tür gesetzt werden. Ihr wärt auch nicht die erste Band mit fertiger Platte an der Hand, die wenig oder gar keinen Support von einem Label bekommt, dessen Vertreter nicht mehr auf Anrufe oder Mails reagieren.
Darüber hinaus ist die Personalfluktuation in der Musikindustrie recht hoch. Es könnte also eines Tages vorkommen, dass alle Schlüsselpersonen, die an deine Musik geglaubt haben, auf einmal nicht mehr beim Label beschäftigt sind. Wenn die entsprechenden Nachfolger aufräumen wollen oder kein Interesse an euch haben, hat euer Output dementsprechend weniger Priorität und wird im VÖ-Chaos vielleicht ganz vergessen.
2. Du verdienst abseits des Majorzirkus nicht selten einfach mehr
Ein durchschnittlicher Plattenvertrag kann ein heikles und undurchschaubares Minenfeld sein, in dem unter anderem versteckte Kosten, Nonsensgebühren und zwielichtige Klauseln enthalten sein, die sich später einmal allesamt zu einem finanziellen Fiasko entwickeln können – und das obwohl alles technisch gesehen völlig legal sein mag. Einen Einblick in die Komplexität gibt unser Artikel zum Bandübernahmevertrag.
Vorschüsse? Nimmt man anfangs natürlich gerne an, schließlich ermöglichen sie beispielsweise oft, den Büro- oder sonstigen Job aufzugeben um sich ganz und gar dem Projekt zu widmen. Doch Vorsicht, denn selbst zunächst großzügig erscheinende Vorschüsse können zum Ballast werden, wenn ihr diese aus diversen Gründen nicht mehr zurückzahlen könnt und sie im schlimmsten Fall zu Verbindlichkeiten gegenüber dem Label werden. Auch sogenannte 360 Grad-Deals werden schnell unterschrieben, denn natürlich sind Majors längst auf die Idee gekommen, abseits von Tonträgern und Co. kräftig mitzuverdienen. Ob Lizenzdeals oder das oftmals sehr lukrative Merchgeschäft – schnell seid ihr verpflichtet, auch hier eine Menge an Einnahmen abzugeben.
Demgegenüber haben unabhängige Künstler für Merch zwar höhere Investitionskosten und natürlich ein gewisses Risiko, können aber dafür auch den einen oder anderen finanziellen Rückschlag dank Platten- und Merchverkäufen bei Konzertvenues mehr als adäquat ausgleichen und mit soliden schwarzen Zahlen aus der Nummer rausgehen.
Es zwingt euch natürlich keiner, einen solchen nachteiligen Deal zu unterschreiben, aber wenn man anfangs nicht den eigenen Wert kennt oder schlichtweg verzweifelt ist, dann stimmt man oft den irrsten Dingen zu – selbst wenn sie zwar juristisch ok sind, aber moralisch überhaupt nicht klargehen.
3. Majorsignings bedeuten häufig auch die Abgabe deiner kreativen Kontrolle
Majors wollen profitabel sein. Das ist an sich nicht verwerflich, aber selbst in einer derart kreativen Industrie muss sich alles diesem Ziel unterordnen. An passablem Nachwuchs mangelt es nicht, also scheint die Hemmschwelle, zig Künstler durch den Reißwolf zu drehen, einfach ökonomisch sinnvoller zu sein, als den mühsamen und langen Aufbau von individuellen Talenten.
Das bedeutet auch, dass man darauf getrimmt wird, Zielgruppen akkurat zu bedienen und muss sich entsprechend in Schubladen zwängen, die einem eventuell so gar nicht liegen – und das ist auf weitaus mehr als "nur“ Musik bezogen. Wer sich eher als "ausführende“ Kraft sieht, könnte sich damit arrangieren, doch für die meisten Kreativköpfe dürfte das inakzeptabel sein – vor allem, weil ein kommerzieller oder langfristiger Erfolg selbst damit nicht garantiert werden kann.
Als unabhängiger Künstler sitzt ihr am Steuer und könnt selbst bestimmen, mit wem ihr arbeitet, wie ihr das tut und könnt eurem eigenen Plan folgen. Diese dürfte zweifellos das Wichtigste für die Karriere eines jeden Musikers sein. Ihr könnt Singles/Alben nach Gusto veröffentlichen und seid vertragsseitig nicht an illusorische Deadlines gebunden, an denen diese oder jene Sache herauskommen oder wann man auf Tour gehen muss. Independent zu sein, heißt natürlich sehr viel Verantwortung, aber diese Unabhängigkeit kann nichtsdestotrotz um einiges erfüllender als die Alternative im goldenen Käfig sein.
4. Du hast alle nötigen Werkzeuge bereits jetzt zur Verfügung
Viele fragen sich vielleicht: Warum brauch ich überhaupt ein Label? Wir haben doch alle Möglichkeiten in unserer Hand. Ob Musikproduktion, Mastering, Vertrieb oder Marketing – wir alle haben ganz theoretisch die Mittel in der Hand, unsere Musik einem breiten Publikum vorzustellen.
Mit einem mittelmäßigen Laptop, kostenloser Software und unserem Smartphone können wir – entsprechende Skills und harte Arbeit vorausgesetzt – Künstler organisch aufbauen. Das haben nicht wenige Chartstürmer der letzten Jahre bewiesen. Ob Milky Chance, Annenmaykantereit oder viele EDM-Größen – sie alle nahmen erst Major-Support in Anspruch, nachdem sie aus eigener Kraft ein breites Publikum erschließen konnten.
Das bedeutet nicht, dass jeder ein Star werden kann – nur dass das Internet und Technologie trotz möglicher Konkurrenz die Schwelle zum Erfolg etwas herabgesenkt haben. Was früher einzig und alleine Majors an Marketing leisten konnten, können heute Social Media und Co. ohne Weiteres leisten.
5. Du brauchst keine Angst zu haben, dass deine Platten in der Schublade verschwinden
Hier schließen wir unmittelbar an Punkt 1 an. Dass ihr einen Majordeal habt, bedeutet nämlich noch lange nicht, dass eure daraus entstandene Musik überhaupt veröffentlicht wird. Falls ihr Labelkollegen von erfolgreichen Künstlern seid, wird sich das Label entsprechend erst einmal um diese "Cash Cows“ kümmern. Für euch bedeutet das weniger Ressourcen, Mühen und Geld. Falls ihr diesen Megasellern musikalisch halbwegs ähnlich seid, kann es auch ganz gut passieren, dass ihr "weggesignt“ werdet. Das bedeutet im Endeffekt, dass Labels manchmal Künstler unter Vertrag nehmen und sie danach auf Eis stellen, um diesen Künstler davon abzuhalten, mit einem labeleigenen Act zu konkurrieren.
Nicht wenige Bands sind daran zerbrochen, weil ein vermeintlicher Traumdeal zu einem jahrelangen Schwebezustand führte, währenddessen sie auf der Stelle traten und sich entweder teuer freikaufen oder viele Jahre auf einen Vertragsablauf warten mussten. Dem Label tut sowas nicht weh, denn was ist schon eine weitere Steuerabschreibung? Für euch oder eurer Mitstreiter geht es aber entsprechend um die professionelle Zukunft!
Ihr seht also, dass das Gras auf der anderen Seite des Zauns grundsätzlich immer grüner ist. Heutzutage ist ein Major-Deal zwar immer noch durchaus ein Zeichen, dass man ein gehöriges Stück weitergekommen ist, es aber langfristiger und finanziell lukrativer sein kann, alles selbst in die Hand zu nehmen um ein viel größeres Stück vom Kuchen abzubekommen.
Nur so kann man sich auf das Wesentliche konzentrieren: Musik!
Wie lauten eure Erfahrungen?
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