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Fluch oder Segen?

Youtube und der sog. "Value Gap": Google will Vorwürfe der Musikindustrie mit Studie entkräften

News von Florian Endres
veröffentlicht am 25.05.2017

musikmarkt streaming youtube kulturpolitik

Youtube und der sog. "Value Gap": Google will Vorwürfe der Musikindustrie mit Studie entkräften

YouTube wehrt sich. © prykhodov / 123RF

Mit einer selbst in Auftrag gegebenen Studie möchte Google die Kritik an seiner Streaming-Plattform Youtube entschärfen. Sie helfe dabei, Musikpiraterie zu unterbinden.

Als "Value Gap" bezeichnen die Interessensverbände der Musikindustrie sowie ihr nahestehende (Lobby-)Gruppen das Ungleichgewicht zwischen der kontinuierlich wachsenden Nutzung des digitalen Musik-Streamings und der dabei vergleichsweise geringen Gewinnbeteiligung der Rechteinhaber an den Erlösen solcher Plattformen wie z.B. Youtube.

Das Problem der Lizenzierung

Im Gegensatz zu Streaming-Diensten wie Spotify oder Apple Music, die Content im Vorfeld z.B. von Musiklabels lizenzieren müssen, basieren Plattformen wie Youtube darauf, dass ihre Nutzer selbst Content hochladen – jedoch nicht zwangsweise ihren eigenen.

Eine Lizenzierung erfolgt jedoch, wenn die hochgeladene Datei von Youtubes eigenem Content-ID System identifiziert wird. Dazu muss der Künstler bzw. dessen Label hier allerdings registriert sein. Alternativ können Rechteinhaber das Video sperren lassen.

Safe Harbor und die Folgen

Dass dies möglich ist, liegt an dem sogenannten Safe-Harbor-Abkommen, das besagt, dass Hoster wie Youtube keine Verantwortung für eventuelle Copyright-Verstöße ihrer User tragen, u.a., da der Mehraufwand einer aktiven Suche nach solchen Verstößen unverhältnismässig sei. Lediglich die Möglichkeiten der schnellen Löschung unlizenzierter Inhalte müssen gegeben sein.

Aufgrund der mit dieser Art der Lizenzierung verbundenen, laut Zahlen des Weltverbandes der Phonoindustrie zu geringen Ausschüttungen an Rechteinhaber werfen Musikschaffende Youtube die Ausbeutung rechtlicher Schlupflöcher vor und pochen auf eine Reform.

Diese Position ist jedoch nicht unumstritten: So schreibt der Netzaktivist Cory Doctorow, dass eine solche Reform des Copyrights zur Folge hätte, dass jeglicher Content einer vorherigen Prüfung unterzogen werden müsste. Dies würde nach Doctorow in einer massiven Beschneidung der persönlichen Freiheitsrechte münden und auch das Innovationspotential im Internet mindern.

Die Google-Studie

Die Youtube-Studie fragt u.a., wie Nutzer ihre Zeit verbringen würden, wenn Youtube keine Musik mehr hosten würde

Die Youtube-Studie fragt u.a., wie Nutzer ihre Zeit verbringen würden, wenn Youtube keine Musik mehr hosten würde, © Google / RBB Economics

Auch Youtube wehrt sich erneut gegen diese Vorwürfe. Mit einer von Google in Auftrag gegebenen Studie möchte das Unternehmen Youtubes Bedeutung für die Musikindustrie herausstellen. 

Im ersten, von RBB Economics herausgegebenen Paper "Value of YouTube to the music industry - Paper I ­- Cannibalisation" wird das Phänomen der Kannibalisierung betrachtet. Dies bezeichnet die Möglichkeit der Abwendung der Kundschaft von hochpreisigen Anbietern (z.B. Spotify) zu niedrigpreisigen bzw. kostenlosen Anbietern wie Youtube.

Keine Kannibalisierung

Eine Kannibalisierung, so stellt es die Studie dar, findet nicht statt. Etwa 85% der Zeit, die Nutzer auf Youtube verbringen, würden sie auf anderen, eventuell sogar illegalen Plattformen verbringen, sollte es kein Musikangebot mehr auf Youtube geben. Knapp 29% mehr Zeit würden Nutzer angeblich damit verbringen, Musik aus illegalen Quellen zu hören. 

Entgegen der Vorwürfe nähme Youtube den Streaming-Diensten also nicht die Kunden weg: Es verhindere eher deren Migration zu Plattformen mit noch schlechteren Lizenzierungsbedingungen, also etwa andere User Uploaded Content-Plattformen oder illegale Angebote.

Des Weiteren zeige sich im direkten Vergleich, dass das Sperren von Videos (man denke an die Sitation von GEMA-Material vor der Einigung mit Youtube), nicht dazu führe, dass die gesperrten Songs in der Folge auf Streaming-Plattformen (häufiger) angehört würden.

Heftige Kritik...

Die Studie provozierte heftige Kritik. Hinterfragt wurde etwa, wie unabhängig diese Studie sein kann, wenn sie von Google selbst in Auftrag gegeben wurde. Auch wird bemängelt, dass beispielsweise die Begünstigung des illegalen Stream-Rippings – das kostenlose Herunterladen von Youtube-Videos mittels externer Tools – nicht berücksichtigt wird.

Geoff Taylor, Vorstandsmitglied der British Phonographic Industry, kritisiert die einseitige Ausrichtung der Studie. Laut der BPI vorliegenden Zahlen würden 19% der Youtube-Nutzer im Vereinigten Königreich zu einem Audio-Streaming-Dienst wechseln würden, würde Youtube keinen Musik-Content mehr hosten. Schon der Wechsel eines Bruchteils dieser Nutzer würde nach Taylor einen Teil zum Aufschwung der Industrie beitragen.

...von allen Seiten

Die Electronic Frontier Foundation hingegen kritisiert die Haltung der Musikindustrie und wirft ihnen Doppelmoral vor: Auf der einen Seite ließe man verlauten, dass der Musikmarkt durch Streamingplattformen (u.a. auch Youtube) wieder profitabel wird – auf der anderen Seite kritisiere man diese Plattformen wegen angeblich zu niedriger Ausschüttungen.

Nachdem das frühere Feindbild Musikpiraterie durch Streaming ein immer geringeres Problem darstelle, wäre es nun ungerechtfertigt, das rechtliche Standbein einiger dieser Plattformen – und damit eine Grundlage des freien Datenverkehrs im Internet – zu kippen, stellt die EFF als Reaktion auf die Kritik an der Studie Googles fest.

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