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"Lasst uns das doch bitte probieren!"

Nanette Fleig vom SO36 in Berlin fordert 2G-plus mit PCR-Tests für sichere Veranstaltungen

Interview von Olga Kirschenbaum
veröffentlicht am 14.12.2021

coronakrise liveszene konzertorganisation kulturpolitik

Nanette Fleig vom SO36 in Berlin fordert 2G-plus mit PCR-Tests für sichere Veranstaltungen

Nanette Fleig vom Berliner Club SO36. © Gero/SO36

Die Betreibenden des SO36 setzen sich für die Gesundheit ihrer Gäste und die Aufrechterhaltung des Kulturlebens ein. Mit neuer Ausstattung und 2G-plus mit PCR-Tests glauben sie, einen sicheren Ort für die Live-Szene schaffen zu können. Darüber haben wir am 7. Dezember 2021 mit dem langjährigen SO36-Teammitglied Nanette Fleig gesprochen.

Backstage PRO: Welche Meinung habt ihr als Club zu der Entscheidung des Senats, ab dem 8. Dezember alle Tanzlustbarkeiten zu verbieten

Nanette: Wir sind so ein bisschen zerrissen: Wir sind wirklich alles andere als Corona-Leugner, im Gegenteil uns ist die Verantwortung bewusst! Es ist uns schon klar, dass wir irgendetwas machen müssen, die Zahlen müssen runter. Aber wir halten es auf der anderen Seite für nicht die richtige Vorgehensweise, an dieser Stelle so hart durchzugreifen.

Backstage PRO: Weshalb?

Nanette: Bei uns ist eine fette Lüftung installiert; wir haben wirklich alle kontrolliert, ob sie geimpft oder genesen sind; wir haben jetzt ein Testzentrum nebenan. Wir würden es logistisch auch hinkriegen, alle PCR zu testen, wenn wir das dürften. Das ist so ein bisschen der Frust, weißt du?

Backstage PRO: Also trifft es die Clubs zu unrecht?

Nanette: Wenn die Jubiläums-Party der Freiwilligen Feuerwehr im Erzgebirge stattfindet, guckt da keiner, ob jemand getestet ist, und da sind die Inzidenz-Zahlen bei 2000 oder sowas. Hier in Berlin ist das nicht so und die Clubs sind nicht diese Superspreader-Spots. Wir fühlen uns an der falschen Stelle verantwortlich gemacht für etwas, wofür wir nicht die schlimmsten Verursacher sind. Das nervt total.

Backstage PRO: Was bedeutet das im Hinblick auf den Beschluss des Senats?

Nanette: Insofern bin ich natürlich nicht mit dem Senat einer Meinung, dass es das Geilste ist, jetzt die Clubs zu schließen. Es wäre doch viel sinnvoller, in einem kontrollierten Rahmen Veranstaltungen mit einem möglichst geringen Risiko durchzuführen.

“Wir versuchen alles, damit wir offen bleiben können”

Backstage PRO: Vor welche Herausforderungen stellen euch die Änderungen der Corona-Schutzmaßnahmen?

Nanette: Erst vor Kurzem kam die letzte Verordnung raus und jetzt sollen wir das Programm wieder komplett ändern. In der kurzen Zeit mussten wir mehrfach ein neues Programm aufstellen. Sogar ein Konzert zählt zu Tanzlustbarkeiten, wenn es nicht bestuhlt ist. Das heißt, alle Konzerte sind jetzt auch verboten oder wir müssen bestuhlen. Dann passen aber kaum Leute rein und wenn wir schon 500 Tickets verkauft haben, können wir nicht auf 180 bestuhlte Plätze reduzieren. Wer mit einem Ticket dürfte kommen und wer nicht? Das ist einfach total krass; wir können nicht immer so schnell umplanen! Wie stellen die politischen Instanzen sich das denn vor? Wir versuchen ja schon alles, damit wir offen bleiben können und nicht komplett am staatlichen Tropf hängen.

Backstage PRO: Wie reagiert ihr im Betrieb auf die neuesten Auflagen?

Nanette: Die neue Verordnung ist ja noch gar nicht raus [zum Zeitpunkt des Gesprächs, Anm. d. Redaktion]. Es gab eine Pressekonferenz, aber es ist immer eine Überraschung, was letztendlich in der Verordnung steht. Die Sofortmaßnahme ist natürlich, dass alle klassischen Partys abgesagt sind. Alle Konzerte, für die wir schon so viele Tickets verkauft hatten, sind abgesagt. Zwei sind verschoben und eins, das schon dreimal verschoben worden ist, ist nun endgültig abgesagt. Wir überprüfen gerade, was wir machen können und wollen. Bei manchen Veranstaltungen legen wir drauf und gucken, dass wir das mit Hilfe eines Förderprogramms umsetzen können, damit zumindest ein paar Leute einen schönen Abend haben. Das heißt, obwohl eigentlich fast nichts stattfindet, sind wir im Büro viel damit beschäftigt, Termine hin und her zu schieben oder uns etwas Neues im Rahmen unserer Möglichkeiten auszudenken.

Backstage PRO: Seit dem 25. November gilt im SO36 2G-plus. Wie wird die Forderung eines Negativ-Tests zusätzlich zum 2G-Nachweis vom Publikum aufgenommen?

Nanette: Die Reaktion der Gäste, die wirklich gekommen sind, war durchweg positiv. Sie sind gekommen, weil sie sich halbwegs sicher gefühlt haben. Wir haben Zuspruch über die Sozialen Medien erhalten und auch eine Person, die sich als eine der wenigen wirklich nicht impfen lassen kann, fand unsere Vorgehensweise gut. Allerdings glaube ich, dass Corona-Leugner ohnehin nicht das typische SO-Publikum sind. Zwar haben wir im Laufe der Zeit auch schon E-Mails von skeptischen Leuten bekommen, die dann aber sehr genau argumentiert und uns im vernünftigen Ton ganz freundlich geschrieben haben. Letztendlich kann man ja unterschiedlicher Meinung sein. Auch wir betrachten einige Beschränkungen kritisch und befinden uns darum in einem permanenten Dilemma.

Backstage PRO: Hattet ihr Regelungen für diejenigen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können?

Nanette: Die hatte es bei dem 2G-Modell gegeben, ja. Damals gab es für unter 18-Jährige und Leute mit einem Attest die Möglichkeit, mit einem frischen Test zu kommen. Trotzdem hat sie niemand von den sehr wenigen Betroffenen in Anspruch genommen, was auch total vernünftig ist. Es tut mir für diejenigen natürlich leid, aber die können eine solche Veranstaltung nur besuchen, wenn alle anderen gesund sind.

"Ich habe die Berliner Clubbetreiber als vorsichtig wahrgenommen"

Backstage PRO: Hattest du den Eindruck, dass sich mit der Einführung von 2G-plus das negative Image von Clubs als Hochrisiko-Stätte geändert hat?

Nanette: Ich glaube schon, wobei eine Einschätzung aus meinem Blickwinkel immer schwierig ist. Die Leute, die ich kenne, und ich haben Clubs zum Beispiel aufgrund der neuen Lüftungs-Ausstattung bereits als sicheren Ort empfunden. Außerdem haben andere Clubs im Zweifelsfall super früh zugemacht, sodass ich gerade die Berliner Clubbetreiber als total bewusst und vorsichtig wahrgenommen habe. Wir haben dieses negative Image daher gar nicht von außen an uns herangetragen bekommen.

Backstage PRO: Worauf ist dieser Fehlschluss deiner Meinung nach zurückzuführen?

Nanette: Der Inhalt einer Schlagzeile in der Tagesschau war mal, dass laut der Luca App die Clubs die Hotspots seien. Das ist aber totaler Quatsch, weil etwa der Einzelhandel oder ein Feuerwehrfest die Luca App nicht hat. Dadurch wurden Clubs einfach zu einer statistischen Größe. Trotzdem glaube ich schon, dass unsere Bemühungen den Leuten deutlich werden.

Backstage PRO: Würdet ihr in der jetzigen Situation versuchen, bis zum Schluss irgendeine Art von Veranstaltungen in Präsenz anzubieten, oder würdet ihr, bevor ihr auf reinen Barbetrieb ausweichen müsst, aus Sicherheitsgründen oder aus wirtschaftlichen Gründen schließen?

Nanette: Im Moment sind wir der Meinung, dass wir zunächst alles Mögliche weiter durchführen. Denn unter der Voraussetzung von 2G-plus halten wir unseren Laden für einen ziemlich sicheren Ort. Natürlich gibt es ein Restrisiko, das ist bei uns jedoch deutlich niedriger als im Supermarkt oder in einem überfüllten ICE. Dort kontrolliert nämlich niemand sowohl den Personalausweis als auch den 3G-Nachweis, nur das Ticket.

"Die bezahlbaren PCR-Tests haben gut funktioniert"

Backstage PRO: Wie setzt ihr die Kontrollen um?

Nanette: Für diese Überprüfungen haben wir einen enormen Mehraufwand an Personal. In jedem Fall möchten wir die Sicherheit der Gäste gewährleisten, auch wenn uns das Kontrollieren gar keine Freude bereitet. Was uns zum Beispiel wirklich aufstößt, ist das ganze digitale Registrieren. Im Prinzip werden ja die Leute durch die Verordnung dazu gezwungen, ihre Daten und Informationen über ihre Bewegung abzugeben. Obwohl es schneller und einfacher für uns als Veranstalter ist, ist es uns wichtig, auch andere Möglichkeiten anzubieten. Deshalb können unsere Gäste, die Angaben auch auf einem Zettel hinterlassen, den wir nach einem Monat garantiert vernichten. Indem wir die Daten nicht weitergeben, entsteht kein Bewegungsprofil. Auf der anderen Seite heißt es natürlich, dass die Leute bei dieser Option uns vertrauen müssen. Im Gegenzug müssen sie beim digitalen Check-In eben den Technik-Experten vertrauen. Darum ist es uns ein Anliegen, eine Position hinsichtlich der zunehmenden Datenkontrolle einzunehmen.

Backstage PRO: Wie habt ihr euch dann mit der Einführung von 2G damit gefühlt, Leute ausschließen zu müssen?

Nanette: Es war schon ein merkwürdiges Gefühl. Schließlich haben wir Menschen in unserer Zielgruppe, die zum Beispiel aufgrund ihres Aufenthalts-Status bisher keine Impfmöglichkeit hatten. Da wir eine Praxis kennen, in der alle unabhängig ihrer Papiere geimpft werden, haben wir den Belegen aus dieser Praxis vertraut. Mittlerweile ist allerdings ein QR-Code erforderlich, weshalb wir uns darum bemühen, auch für solche Fälle Wege zu finden. Ich möchte, dass alle, die besonders gefährdet sind und sonst keine sicheren Räume haben, kommen dürfen. Insgesamt ist das also natürlich ein Problem für unseren Wunsch, jede und jeden hereinlassen zu können.

Backstage PRO: War eure Befürwortung der Idee, neben Genesenen und Geimpften auch PCR-Getesteten Einlass zu gewähren, durch die Ergebnisse von Clubculture Reboot beeinflusst?

Nanette: Ja, das Ergebnis des Projekts war sehr ermutigend. Diese PCR-Tests haben gut funktioniert und es war durch dieses Pooling-Verfahren bezahlbar. Also hatten wir den Eindruck, dass die Partygäste auf diese Weise hier safe sind. Deshalb auch der Appell an die entsprechenden Instanzen, ob wir dieses Modell nicht bitte wirklich ausprobieren dürfen. Auch 2G-plus mit PCR-Tests anstelle von Schnelltests wäre eine Option. Aber gebt uns doch eine Chance, das irgendwie zu machen, ohne Maske und mit Tanzen!

"Einen Fachkräftemangel gibt es definitiv"

Backstage PRO: Wie wirken sich die ständigen Änderungen auf die Angestellten-Situation aus?

Nanette: Unseren Mitarbeitenden fallen alle Jobs weg. Unseren Mitarbeitenden fallen alle Schichten weg. Die Festangestellten haben Anrecht auf Kurzarbeitergeld, aber die Menschen mit Minijobs nicht - und die haben dann gar kein Einkommen. An nächster Stelle stehen die Kunstschaffenden, deren Gagen entfallen und so weiter. Ich sehe das wie eine Dominokette, irgendwann ist halt auch Ende.

Backstage PRO: Zwischendurch hatte SO36 ja wieder ein regelmäßiges und volles Programm. Waren da wieder alle Mitarbeitenden im Haus und sind sie jetzt alle wieder in Kurzarbeit?

Nanette: Mit Ausnahme von fünf Personen waren während der Schließung alle in Kurzarbeit null. Dann haben wir von jetzt auf gleich den Betrieb wieder hochgefahren und alle zurückgeholt, die wir kriegen konnten. In der Zwischenzeit mussten sich manche einen anderen Job suchen. November war der erste Monat, in dem niemand mehr in Kurzarbeit war. Das hat ja nun aber nur einen Monat gehalten und jetzt ist völlig unklar, wie sich z. B. der Kräftebedarf am Tresen in Abhängigkeit von der Form und der Auslastung der Veranstaltungen verändern wird. Anders als eine Veranstaltung in zwei Sälen lädt ein Konzert mit hundert bestuhlten Plätzen, was ja eigentlich schon Kleinkunst ist, nur wenig zum Trinken an der Theke ein. Es geht eben auch um die Atmosphäre.

Backstage PRO: Es ist in letzter Zeit auch häufig zu hören, dass es im Moment schwierig ist, solche Minijobs zu besetzen. Wie ist da eure Erfahrung?

Nanette: Ja, ich glaube, dass es tatsächlich so ist. Allerdings sind bei uns sowohl unter Gästen als auch unter Mitarbeitenden viele unserer Freunde dabei, sodass das Arbeiten hier keineswegs anonym ist. Es sind viele aus unserem Stammteam wieder mit dabei. Zugleich können diejenigen, die sich einen anderen Job suchen mussten, beim besten Willen nicht im Anschluss an eine Nacht hinterm Tresen ihrem regulären Job nachgehen. Darum glaube ich, dass es im SO36 nicht so dramatisch ist wie anderswo, aber diesen Fachkräftemangel gibt es.

"Wir haben uns schon erkundigt, wie man Insolvenz anmeldet"

Backstage PRO:  Müsst ihr denn aktuell, trotz eurer eigenen Bemühungen, wirtschaftlich motivierte Entscheidungen treffen?

Nanette: Es ergibt überhaupt keinen Sinn mehr, einige Veranstaltungen zu planen. Auch wenn wir sie gerne durchführen würden, lohnen sich die Kosten für eine gesetzlich genehmigte Umsetzung nicht. Zum Beispiel müssen Bands überlegen, ob es für sie machbar ist, unter den Umständen auf Tour zu gehen. Nun ist aber ohnehin alles wieder abgesagt. Am Ende werden wir es also auch mit Kneipenabenden in Form unserer “Trinkhalle” versuchen, aber es ist nicht das, was wir gerne machen. Immerhin wollen wir dem Publikum ein besonderes Erlebnis bieten. Wir wollen, dass es mit der Band hier einfach einen geilen Abend hat. Deshalb führen wir ja einen Club. Trotzdem machen wir das aus finanzieller Not und für die Leute.

Backstage PRO: Wie habt ihr es denn so weit geschafft? Habt ihr Fördermittel beantragt?

Nanette: Wir haben direkt Mitte März 2020 angefangen, um private Spenden zu betteln, weil die katastrophale Lage schon damals klar war. Bis Mitte Oktober 2020 haben wir tatsächlich keine Staatsgelder ausgezahlt bekommen, weder vom Land Berlin noch vom Bund. Das war ein halbes Jahr; das war schlimm. Irgendwann relativ spät kam das Kurzarbeitsgeld. Anfang Oktober kam einmal der Moment, wo wir angefangen haben, uns zu erkundigen, wie Insolvenz angemeldet wird. Es war also einfach wirklich krass knapp, bis irgendwann die Überbrückungshilfe kam.

Backstage PRO: Wie konntet ihr den Laden bis dahin halten?

Nanette: Uns hat definitiv die Hilfe unserer Freundinnen und Freunde, Besucherinnen und Besucher, Bands und allen möglichen anderen Leuten aus dem Kiez durch die ersten Monate gebracht. Neben Spenden hat zum Beispiel die Weinhandlung Suff, hier um die Ecke, einen Soli-Wein aufgelegt oder Supermarché, noch 150 Meter weiter, hat ein Soli-Handtuch gemacht und eine Frau, die nie namentlich erwähnt werden wollte, hat Soli-Masken genäht. Einerseits geht es um das Geld und andererseits um die Geste. Wenn irgendwann alle nur noch aufgeben, ganz unabhängig von der Finanzierung, dann gibt es den Laden auch nicht mehr.

"Wir haben uns stetig weiterentwickelt"

Backstage PRO: Wofür habt ihr die Gelder genutzt?

Nanette: Um weiter zu bestehen, mussten wir uns etwas überlegen: Zwar hatten wir vorher schon eine ganz gute Lüftung, aber die Lüftung ist jetzt halt einfach mal mega. Außerdem haben wir nochmal die Klos so umgebaut, dass es irgendwie sicherer ist. Letztendlich sind wir ja auch kein Museumsstück aus den späten 70er Jahren - wir haben uns stetig weiterentwickelt und werden das auch weiterhin tun, und zwar nicht nur technisch, sondern auch programmatisch.

Backstage PRO: Welche Neuerungen habt ihr in dieser Hinsicht vorgenommen?

Nanette: Zum Beispiel haben wir uns ganz lange gegen Streaming gewehrt und wir sind auch immer noch der Meinung, dass du die Atmosphäre einer Live-Veranstaltung nicht online generieren kannst. Bevor du aber gar nichts hast und bevor auch die Kunstschaffenden nichts mehr haben, ist Streamen immer noch ein bisschen besser als gar nichts. Aber es ist eben kein Live-Erlebnis! Das ganze Rundum-Erlebnis gehört mit dazu: die Atmosphäre und der Druck, den die Bässe in deinem Magen machen - das macht meine Stereoanlage nicht.

Backstage PRO: Also waren die Staatshilfen hilfreich? Welche Mittel waren das?

Nanette: Als die kamen, hat uns das natürlich gerettet und wir konnten die genannten Sachen umsetzen. Zum einen war es Neustart Kultur, da gab es ja drei oder vier verschiedene Programme. Zum anderen kam zum Erhalt des Ladens die Überbrückungshilfe für den Mittelstand. Obwohl wir uns nicht so fühlen, sind wir auf dem Papier ein mittelständischer Betrieb. Denn wir haben mit den Mini- und Studierendenjobs insgesamt ungefähr 80 Leute, die ja wirklich regelmäßig arbeiten. Zudem kommen nochmal hundert, die mal als DJ, mal als Tanzlehrerin wiederkommen.

"Wir müssen alle gemeinsam trommeln"

Backstage PRO: Wie siehst du die Aktionen einzelner politischer Akteure?

Nanette: Ich weiß, dass Klaus Lederer selber ein Clubgänger ist, ihm die Clubs schon am Herzen liegen und ihm natürlich auch die Hände gebunden sind. Ich habe auch Frau Grütters geglaubt, dass sie es schon sehr schade fände, wenn das SO36 verschwinden würde. Also hatte ich durchaus den Eindruck, dass sie die Situation der Clubszene nicht leichtfertig hinnehmen. Zwischen dem, was die Menschen persönlich tun, denken, wollen, und dem, was wir am Ende wirklich haben, ist ein großer Unterschied.

Backstage PRO: Welchen Eindruck machen auf dich die Handlungen zusammengeschlossener Branchenvertreterinnnen und Branchenvertreter?

Nanette: Ich finde, dass die Mitglieder der Clubcommission einen guten Job gemacht haben. Vor allem United We Stream hat in Kooperation mit der Clubcommission auch eine weitere Verbreitung gefunden. Die arbeiten professionell und sehr rührig: Wir müssen alle gemeinsam trommeln und da war diese "united we stand, divided we fall"-Nummer aus meiner Sicht wirklich sehr eindrücklich. Gerade am Anfang der Pandemie haben sich alle gegenseitig gepusht und die Botschaften gegenseitig geteilt. Dabei haben die einen zugemacht, andere haben einen Kredit aufgenommen und die nächsten haben um Spendengelder gebettelt. Da war schon eine starke Unity und zugleich so ein bisschen die Frage danach, wie lange das hält, wenn alles wieder normal ist. Dieses "im Zweifelsfall kämpfen wir gemeinsam gegen die große Bedrohung" ist aber schon sehr empowernd, finde ich. Auch gemeinsames Demonstrieren, Alarmstufe Rot und Ähnliches, war gut. Das war auch ein Zeichen. Ich glaube, den Leuten ist klar geworden, dass etwas fehlt, wenn es keine Kultur mehr gibt.

Backstage PRO: Habt ihr das Gefühl, unter den Umständen noch derselbe politische Club sein zu können, oder hat die Zwangspause eine nachhaltige Veränderung bewirkt?

Nanette: Der Club ist schon relativ resilient, schließlich kämpfen wir seit Jahrzehnten gegen Repression, Gentrifizierung und alles Mögliche an. Dabei haben sowohl wir uns als auch unsere Gäste sich als recht widerstandsfähig erwiesen. Darum glaube ich schon, dass wir auch wieder ganz die Alten sein können, ja.

"Unsere Kräfte sind nicht unendlich"

Backstage PRO: In einem Interview sagtest du, dass du auch langsam keine Kraft mehr hast. Was kann das konkret fürs SO36 bedeuten?

Nanette: Das Gesamtgeschehen macht ja auch etwas mit der Psyche und das Thema Depression ist unter den Menschen hier kein Tabu. Vor allem dann, wenn ein Tiefschlag auf den nächsten folgt. Das ist auch nicht ungefährlich. Wir verlieren auch Menschen daran. Wenn es immer so weiter geht, stehst du irgendwann nicht mehr auf. Selbst wenn wir alles wieder dürfen, ist dann halt einfach vielleicht wirklich keine Kraft mehr da. Das kann auch uns passieren. Obwohl wir relativ resistent sind, sind unsere Kräfte auch nicht unendlich.

Backstage PRO: Was können wir dagegen tun?

Nanette: Ich finde es wichtig, darüber zu reden, denn es ist in dieser Situation so schwer, Kolleginnen und Kollegen ohne einen laufenden Betrieb im Blick zu behalten. Dabei gab es in der Branche einige Tote in der Zeit, bei denen es sich höchstwahrscheinlich um Suizide handelte, die einfach keinen Ausweg mehr gesehen haben. Das ist so schrecklich und wird meiner Meinung nach teilweise noch tabuisiert. So ging es auch ein bisschen unter, was es für die Menschen bedeutet, wenn alles wegbricht.

Backstage PRO: Was würdest du dir wünschen, was könnten die politischen Instanzen deiner Meinung nach jetzt tun und was erwartest du von denen?

Nanette: Nichts mehr, ich finde es auch wirklich schwierig. Ich bin froh, dass ich jetzt gerade keine Politikerin an entscheidender Stelle bin. Wir würden uns wünschen, die Chance zu bekommen, zu beweisen, dass wir als Clubszene verantwortlich 2G-plus PCR Tests organisieren können! Das wäre total schön.

Backstage PRO: Und was glaubst du, wie die nahe Zukunft vom SO36 aussieht?

Nanette: Ich glaube, es wird einen Lockdown geben und wir werden zu haben bis April. 

Backstage PRO: Am 7. Dezember gibt es aber noch ein letztes Konzert für dieses Jahr, wie ist das?

Nanette: Ich überlege auf jeden Fall hinzugehen, um noch einmal diese Energie zu tanken!

Backstage PRO: Danke dir vielmals für das Gespräch!

Locations

SO36

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Oranienstr. 190, 10999 Berlin

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