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An der Schnittstelle zwischen Veranstaltern und Politik

Prof. Jens Michow vom BDKV über 35 Jahre Einsatz für die Interessen der Livemusik-Branche

Interview von Daniel Nagel
veröffentlicht am 10.01.2020

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Prof. Jens Michow vom BDKV über 35 Jahre Einsatz für die Interessen der Livemusik-Branche

Prof. Jens Michow ist geschäftsführender Präsident des BDKV. © BDKV

Prof. Jens Michow ist seit 2019 Präsident des Bundesverbands der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft (BDKV). Im Interview spricht er über die Höhen und Tiefen einer langen Karriere und aktuelle Themen der Livemusik-Branche.

Backstage PRO: Herr Prof. Michow, Sie haben Jura studiert, ihr Studium aber zunächst abgebrochen, um in der Musikwirtschaft zu arbeiten. Wie kam es dazu?

Prof. Jens Michow: Ich habe schon während meines Studiums mit dem Management und der Vermittlung von Künstlern begonnen. So war ich der erste Manager der Country-Band Truck Stop, viele Jahre Manager und Agent der Jazz Lips, der Top-Band der damals boomenden Hamburger Dixieland Jazz-Szene. Das Geschäft lief gut und ich fragte mich, wozu ich noch das Studium der Rechtswissenschaft benötigte. Daher hängte ich die Ausbildung an den Nagel und entschied mich für den aus meiner damaligen Sicht leichteren Weg des Geldverdienens.

Backstage PRO: Sie haben dann später auch als Tourneeveranstalter gearbeitet. Wie kam es dazu?

Prof. Jens Michow: Das ist eine längere Geschichte. Mitte der 1970er Jahre entfachte meine Begeisterung für den rumänischen Künstler Gheorghe Zamfir, vielen heute wohl allenfalls noch als "Der Mann mit der Panflöte" bekannt. Ich wurde auf ihn aufmerksam, da Peter Marxen, der Chef des legendären Hamburger Musikclubs Onkel Pö, Zamfirs Musik immer in den Konzertpausen spielte. Das war damals eine völlig neue Musik, die bei den Leuten sehr gut ankam. Ich knüpfte den Kontakt zu Zamfirs damaligem Manager und schloss mit ihm einen Deal über sechs Testkonzerte. Ich hatte damals ja kein Geld, um das Risiko einer längeren Tournee einzugehen. Die Konzerte erwirtschafteten zu meinem Erstaunen einen guten Gewinn. Daher entschied ich mich, dem Management mitzuteilen, dass ich eine vereinbarte Option für eine Deutschlandtournee wahrnehmen wolle. Mir war nicht bekannt, dass das Management zwischenzeitlich bereits einen Vertrag mit der Konzertdirektion Funke abgeschlossen und damit mein Optionsrecht einfach ignoriert hatte. Ich wusste damals nicht, dass ich meinen Optionsanspruch rechtlich hätte durchsetzen können, sondern habe mich damit zufrieden gegeben, dass ich den Kürzeren gezogen hatte. Das war wohl das erste Mal, dass ich – zumindest im Nachhinein – feststellte, dass Jura im Musikgeschäft sehr hilfreich sein kann.

Backstage PRO: Der Rückschlag war allerdings nicht von Dauer.

Prof. Jens Michow: Richtig. Manchmal lohnt es sich eben, einfach abzuwarten. Nachdem der Künstler mir damals in einem persönlichen Brief mitteilte, dass er lieber mit mir zusammenarbeiten wolle, erhielt ich das Veranstaltungsrecht für die nächste Tournee. Und zwischenzeitlich passierte etwas, was niemand vorausgesehen hatte: Zamfir hatte zusammen mit James Last und seiner Bigband einige Titel eingespielt von denen sich die Aufnahme "Der einsame Hirte" zu einem Welthit entwickelte. So hatte ich plötzlich im Alter von 27 Jahren einen Weltstar unter Vertrag. Alle Konzerte waren ausverkauft und die erste von mir veranstaltete Tournee durch Deutschland, Österreich und die Schweiz war ein riesiger Erfolg. Zamfir schloss in dieser Zeit mit mir einen exklusiven Managementvertrag, so dass ich seitdem für alle seine Geschäfte weltweit zuständig war. Es folgten Tourneen und Auftritte in Japan, Australien, Neuseeland, Kanada, Südafrika und vielen anderen Ländern. Ich habe dabei sehr viel gelernt, meine weitere berufliche Laufbahn wurde durch diese Erfahrungen erheblich geprägt. 

"Kein Veranstalter kann nur von einem Künstler leben"

Backstage PRO: Wie haben Sie diese Tourneen organisiert?

Prof. Jens Michow: Ein Mitarbeiter meiner damaligen örtlichen Partner machte mir den Vorschlag, mit mir gemeinsam eine Konzertdirektion zu gründen. Seine Idee war es, bei unseren Konzerten völlig auf örtliche Partner zu verzichten und stattdessen die Arbeit vor Ort mit eigenen Mitarbeitern durchzuführen. Mit dem Zugpferd Zamfir lief das natürlich zunächst auch äußerst erfolgreich. Wir veranstalteten nicht nur in den deutschsprachigen Ländern ohne jegliche örtlichen Partner, sondern waren auf diese Weise auch in allen Benelux-Staaten unterwegs. Aus einer ursprünglich für drei Wochen geplanten Tournee wurde ein monatelanger Tournee-Zirkus, wie damals eine bekannte Tageszeitung schrieb. Allerdings folgt auf jedes Hoch bekanntlich immer wieder auch ein Tief. Was mit einem Höhenflug begann, entwickelte sich zum Albtraum.

Backstage PRO: Wie meinen Sie das?

Prof. Jens Michow: Kein Veranstalter kann nur von einem Künstler leben. Zamfir fühlte sich erschöpft und forderte – was absolut nachvollziehbar war – eine längere Ruhepause. Daher waren wir gezwungen, unser mittlerweile großes Durchführungsteam über andere Tourneen zu finanzieren. Das war der Anfang vom Ende des jungen Veranstaltungsunternehmens. Wir veranstalteten zwar erfolgreich alle Konzerte von The Teens (damals absolute Chartstürmer und Teenie-Idole) und Roberto Blanco, Kirchenkonzerttourneen mit Ivan Rebroff und Jean Christian Michel, Hallenkonzerte mit Hildegard Knef und diverse Irish und Scottish Folknights. Zudem hatten wir auch internationale Künstler unter Vertrag wie Fats Domino, BB King, Mink de Ville, Mothers Finest, José Feliciano und Tina Turner (leider zu früh vor Beginn ihrer Solo-Karriere). 

Backstage PRO: Das klingt nicht unbedingt nach einer Krise.

Prof. Jens Michow: Die Gewinne entwickelten sich leider nicht in gleichem Umfang wie die Kosten. Auslöser für den Zusammenbruch des jungen Unternehmens war schließlich eine Tournee mit dem amerikanischen Opernstar Julia Migenes. Wir hatten über 20 Konzerte vorfinanziert und mehr als 50 weitere ebenfalls vorfinanzierte andere Veranstaltungen im Verkauf. Mein Partner nutzte die Investitionslage ohne mein Wissen oder zwingende Notwendigkeit dazu, für mich völlig überraschend Insolvenz für das Unternehmen anzumelden. Aufgrund der Solvenzlage nach Vorfinanzierung der zahlreichen bevorstehenden Konzerte ließ sich die Krise leider darstellen. Niemand weiß ja im Vorhinein, welche Einnahmen ein Konzert erwirtschaftet und ob damit die investierten Kosten amortisiert werden.

"Plötzlich stand ich mit Verbindindlichkeiten von 800.000 DM da"

Backstage PRO: Warum hat ihr Geschäftspartner Insolvenz angemeldet?

Prof. Jens Michow: Ihm ging es darum, die Tournee mit Migenes mit deren Management gemeinsam auf eigene Rechnung durchzuführen, was dann leider auch geschah. Dummerweise hatte ich seinerzeit für alle Darlehen und Verbindlichkeiten des gemeinsamen Unternehmens persönlich gebürgt und stand, da alle Veranstaltungen abgesagt wurden, von einem zum anderen Tag mit 800.000 DM Verbindlichkeiten da. Anders als ich es später mit vielen anderen Unternehmern, die mir Geld schuldeten, erlebt habe, war es für mich eine Selbstverständlichkeit, diese Schulden bis auf den letzten Heller und Pfennig zu tilgen. Das war unglaublich hart. Zusammen mit meiner Frau, die mir damals durch Dick und Dünn den Rücken gestärkt hat, habe ich das letztlich alles überstanden und nach und nach alle Schulden abbezahlt. Heute bin ich darauf sehr stolz. 

Backstage PRO: Welche Lehren haben Sie daraus gezogen?

Prof. Jens Michow: Pech kann jeder mal haben. Entscheidend ist, wie man damit umgeht. Das erkläre ich heute auch immer wieder Mandanten, die aufgrund einer Liquiditätskrise ihre Gläubiger nicht befriedigen können: Schließt Zahlungsvereinbarungen, die ihr einhalten könnt. Ist das nicht möglich, geht vorher auf eure Gläubiger zu und wartet nicht ab, bis sie nach abgelaufenen Zahlungsterminen verärgert auf euch zukommen. Nur so sichert ihr das Vertrauen eurer Gläubiger in eure grundsätzliche Zahlungsbereitschaft. 

Backstage PRO: Dem Live-Geschäft haben Sie aber nicht den Rücken gekehrt.

Prof. Jens Michow: Nach dem wirtschaftlichen Desaster mit dem Veranstaltungsunternehmen kehrte ich – nicht zuletzt, weil meine Frau drohte, mich zu verlassen, sofern ich weiter auf eigenes Risiko veranstaltete – zum Agentur- und Managementgeschäft auf Provisionsbasis und damit zu meinen beruflichen Wurzeln zurück. Ich baute die Firma Michow Concerts und Management auf, die ich zusammen mit meiner Frau über 30 Jahren führte bis wir sie vor einigen Jahren an Herrn Uwe Kanthak, den Manager von Helene Fischer, verkauften. Ich freue mich, dass er die Agentur unter meinem Namen weiterführt und zwischenzeitlich sehr erfolgreich ausgebaut hat.

Backstage PRO: Sie sind dann an die Uni zurückgekehrt, um ihr Jura-Studium abzuschließen. Was war der Grund für diese Entscheidung?

Prof. Jens Michow: Das hatte mehrere Gründe. Zum einen hatte ich 1985 den Bundesverband der Veranstaltungswirtschaft, der damals noch Interessenverband deutscher Künstlervermittler (IDKV) hieß, gegründet. Da merkte ich schnell, dass für eine professionelle Geschäftsführung juristische Kenntnisse erforderlich sind. Zudem gab es Kolleginnen und Kollegen, die mich aufgrund meiner rudimentären Rechtskenntnisse aus den ersten Studienjahren um rechtlichen Rat baten. Ich fand es ärgerlich, dafür keine Vergütung berechnen zu dürfen. Und schließlich folgte ich mit der Entscheidung dem Rat meiner Frau, dass es doch sinnvoll wäre, etwas Vernünftiges im Leben zu lernen. So entschloss ich mich 1983, mein Studium wieder aufzunehmen und schloss es 1989 mit dem zweiten juristischen Staatsexamen ab. Das war eine lustige Zeit, denn ich war ja kein üblicher Student, sondern leitete nebenbei eine Konzertagentur mit mehreren Angestellten. Aber irgendwie hat es funktioniert.

"Die Interessenvertretung entstand aus einer Notlage"

Backstage PRO: Sie stehen seit nunmehr 35 Jahren an der Spitze eines Berufsverbandes der Veranstaltungswirtschaft. Der 1985 von Ihnen gegründete IDKV, der später in Bundesverband der Veranstaltungswirtschaft (bdv) umbenannt wurde, ist Anfang 2019 im BDKV aufgegangen. Welche Motivation trieb Sie 1985 zur Gründung eines Berufsverbandes?

Prof. Jens Michow: Der IDKV entstand aus einer Notlage. Die damalige Bundesanstalt für Arbeit vertrat die Rechtsauffassung, dass jede Form der Künstlervermittlung und sogar das Management von Künstlern Arbeitsvermittlung sei, die damals ohne Erlaubnis der Bundesanstalt rechtswidrig war. "Wer Arbeitsuchende mit Arbeitgebern zusammenbringt, betreibt Arbeitsvermittlung" hieß es im damaligen Arbeitsvermittlungsgesetz. Das warf für mich allerdings die Frage auf: Schließt ein Künstler mit dem Veranstalter einen Arbeitsvertrag, wenn dieser ihn für ein Konzert verpflichtet? Meine Antwort war: Nein! 

Backstage PRO: Wie haben Sie gegen die Rechtsauffassung der Bundesanstalt für Arbeit argumentiert?

Prof. Jens Michow: Ich wusste, dass ein Arbeitsvertrag vorliegt, sofern der zur Arbeit Verpflichtete weisungsgebunden ist. Arbeitnehmer werden in den Betrieb ihres Arbeitgebers eingegliedert und nutzen dessen Betriebsmittel. Aber das ist doch bei einem Künstler nicht der Fall, der von einem Veranstalter für ein Konzert verpflichtet wird. Als die Bundesanstalt mir die Künstlervermittlung untersagte, suchte ich in der Branche Mitstreiter für den Kampf gegen die aus meiner Sicht rechtswidrige Praxis der Bundesanstalt. So gründete ich gemeinsam mit 21 Kolleginnen und Kollegen am 21. September 1985 den IDKV. Der Verein war also zunächst lediglich ein Bollwerk gegen die aus meiner Sicht rechtswidrige Praxis der Bundesanstalt. Da ich damals noch kein fertiger Jurist war, beauftragte der Verband den Rechtsanwalt Dr. Krause-Ablaß – heute Ehrenmitglied unseres Verbandes – mit unserer Interessenvertretung vor Gericht.

Backstage PRO: Wie ging die Sache weiter? Wie haben die Gerichte entschieden? 

Prof. Jens Michow: Wir haben eine Vielzahl von Prozessen gegen die Bundesanstalt geführt. 1989 landeten wir dann endlich mit einem Verfahren vor dem Bundessozialgericht und erzielten einen herausragenden Erfolg: Das Gericht entschied, dass Künstlervermittlung regelmäßig keine Arbeitsvermittlung, sondern Vermittlung in Dienst- bzw. Werkverträge sei. Dafür bedurfte es keiner Genehmigung der Bundesanstalt. Damit war rechtskräftig festgestellt, dass die bisherige Praxis der Bundesanstalt, die bereits dazu geführt hatte, dass zahlreiche Agenturen ihr Geschäft aufgegeben hatten, rechtswidrig war. Das Thema war damit ein für alle Mal erledigt. Ich darf in aller Bescheidenheit feststellen, dass ohne diese Aktivitäten des damaligen IDKV sukzessiv alle Künstleragenturen und Künstlermanager als rechtswidrige Unternehmen aus dem Markt gedrängt worden wären. Die Agentur- und Managementbranche hätte einen anderen Verlauf genommen.

"Ich war ursprünglich gegen eine Fusion von bdv und VDKD"

Backstage PRO: Lassen Sie uns einen Schritt in die Gegenwart machen. Nach Gründung des BDKV, dem Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft, gibt es ja seit 2019 nur noch einen Berufsverband für den Bereich des Live-Entertainments. Beide bis dahin bestehenden Verbände – der bdv und der VDKD – sind darin aufgegangen. Wie kam es zu dieser Fusion?

Prof. Jens Michow: 2014 wurde beim damaligen VDKD Pascal Funke zum Nachfolger des langjährigen Präsidenten Michael Russ gewählt. Bereits in seiner Antrittsrede versprach er den Mitgliedern des VDKD, dass es sein vorrangiges Ziel sei, die beiden Verbände – bdv und VDKD – zusammenzuführen. Ehrlich gesagt hatte ich eine solche Fusion immer wieder abgelehnt, da mir die Geschäfts- und Mitgliederstrukturen beider Verbände mir zu unterschiedlich erschienen. Der bdv war der weitaus aktivere und von Politik und Öffentlichkeit stärker wahrgenommene Verband. Was sollte eine Fusion bringen? Aber es gab natürlich auch eine Reihe von Argumenten, die für die Fusion sprachen. Irgendwann habe daher dann auch ich mich mit dem Vorhaben angefreundet. Es hat allerdings noch drei Jahre gedauert, bis sich die Vorstände beider Verbände auf die Rahmenbedingungen einer Fusion geeinigt haben. bdv und VDKD sind nunmehr Geschichte. Seit 1. Januar 2019 gibt es nur noch den BDKV. Der Verband hat zwei Präsidenten – Pascal Funke und mich als geschäftsführenden Präsidenten.

Pascal Funke und Prof. Jens Michow - die beiden Vorsitzenden des BDKV

Pascal Funke und Prof. Jens Michow - die beiden Vorsitzenden des BDKV, © Daniel Braun

Backstage PRO: Wie fällt ihre Bilanz nach fast einem Jahr aus?

Prof. Jens Michow: Rückwirkend betrachtet bin ich Pascal Funke für seine Initiative sehr dankbar. Es ist ihm zu verdanken, dass die Veranstaltungsbranche jetzt tatsächlich mit einer Stimme spricht. Der BDKV repräsentiert mit seinen nun rund 450 Mitgliedsbetrieben fast alle Unternehmen des privaten Veranstaltungsmarktes – von den großen Aktiengesellschaften bis hin zu kleinen Einzelunternehmen. Unternehmen aller Entertainmentbereiche – also sowohl der klassischen wie der Rock- und Popmusik aber auch zahlreiche Unternehmen aus dem Theater- und Kabarettbereich  – sind im BDKV vertreten. Zu unseren Mitgliedern zählen aber auch Unternehmen wie der Europa-Park Rust, die Stage Entertainment GmbH mit ihren zahlreichen Musicaltheatern, der Berliner Friedrichsstadtpalast sowie auch Produktionsfirmen von Künstlern wie André Rieu, Andrea Berg, Guido Cantz oder Mario Barth.

"Ich versuche allen Interessen gerecht zu werden"

Backstage PRO: Die Veranstaltungsbranche besteht ja aus zahlreichen kleinen, aber auch vielen großen Playern, die nicht alle die gleichen Interessen haben. Sieht sich der BDKV als vermittelnde Instanz zwischen kleinen und großen Unternehmen?

Prof. Jens Michow: Ich versuche als Geschäftsführer den Interessen aller Mitglieder gerecht zu werden. Das funktioniert besonders gut, wenn die Mitglieder mir ihre Wünsche und Forderungen mitteilen, also uns darüber informieren, wo sie Handlungsbedarf sehen. Natürlich ist mir durchaus bewusst, dass die Erwartungen der kleinen und der großen Unternehmen sehr unterschiedlich sind. Zudem gibt es Mitglieder insbesondere im Klassikbereich, die sich für bestimmte Themen wie GEMA, Ticketzweitmarkt oder Künstlersozialkasse nur wenig interessieren, weil sie z. B. ausschließlich Künstlervermittlung betreiben und nicht selbst veranstalten. Mir ist es aber sehr wichtig, auch ihren Erwartungen gerecht zu werden. Ich möchte insbesondere den Unternehmen aus dem Klassikbereich die Befürchtung nehmen, dass in dem fusionierten Verband nur noch die Interessen der Veranstalter aus dem Pop/Rock-Bereich oder nur die Interessen der großen Unternehmen die Verbandsaktivitäten bestimmen. 

Backstage PRO: Wie funktioniert die juristische Beratung, die der BDKV seinen Mitgliedern anbietet?

Prof. Jens Michow: Ebenso wie die BDKV-Satzung vorsieht, dass es für eine Übergangszeit zwei Präsidenten gibt, sind auch die beiden Verbandsjustiziare der ehemaligen Verbände, Prof. Dr. Johannes Kreile und Dr. Johannes Ulbricht, nunmehr Justiziare des BDKV. Sie stehen den Mitgliedern zur Beratung in allgemeinen Rechtsfragen kostenlos zur Verfügung. Größere Unternehmen sind auf diesen Service weniger angewiesen, da sie eigene Rechtsabteilungen haben. Für kleinere und mittlere Unternehmen ist die Beratung jedoch von großer Bedeutung und wird erheblich genutzt.

Backstage PRO: Welche weiteren Leistungen bietet der Verband seinen Mitgliedern?

Prof. Jens Michow: Da gibt es einige. Ich nenne daher nur einige Beispiele: 

  • Unsere Ausgleichsvereinigung, die wir mit der Künstlersozialkasse geschlossen haben, ist für die Mitglieder von erheblichem Nutzen. Sie bietet Teilnehmern den Vorteil, ihre Abgabenschuld leichter zu ermitteln. Zahlungen leisten sie nur noch an den Verband, wodurch sie mit der Künstlersozialkasse nichts mehr direkt zu tun haben. Sie werden daher auch nicht mehr durch die Kasse oder Rentenversicherung geprüft und auch ihre Aufzeichnungspflicht entfällt.

  • Der Verband hat nach Zulassung durch das Deutsche Patent- und Markenamt eine eigene Verwertungsgesellschaft der Veranstalter mit dem Namen GWVR gegründet, die dafür sorgt, dass ihre Mitglieder für die Nutzung von Aufnahmen ihrer Veranstaltungen die gesetzlich vorgesehene angemessene Vergütung erhalten. Sie beabsichtigt für ihre Mitglieder die Vergütung für die Nutzung von Live-Aufnahmen auf Tonträgern, durch Online-Angebote z.B. von Youtube oder Spotify oder für die Ausstrahlung in Rundfunk und Fernsehen zu kassieren.

  • Mitglieder profitieren über Rahmenverträge des Verbandes von Vergünstigungen bei diversen Dienstleistungsunternehmen wie z.B. Europcar und natürlich von dem Gesamtvertragsrabatt, den Mitglieder auf die GEMA-Tarife erhalten.

  • Darüber hinaus bietet der Verband Standardverträge für verschiedenste Vertragsabschlüsse und informiert seine Mitglieder regelmäßig zu allen branchenrelevanten Themen. 

  • Wer mehr wissen will, dem sei ein Blick auf unsere Webseite unter www.bdkv.de empfohlen.

Backstage PRO: Ein großes Thema in der Branche sind Ticketzweitanbieter im Internet wie Viagogo und Ticketbande. Welche Position vertritt der BDKV in dieser Debatte?

Prof. Jens Michow: Wir kämpfen mit Nachdruck in zahlreichen Gerichtsverfahren und mit Medienkampagnen gegen Trittbrettfahrer, die mit unserem Geschäft nichts zu tun haben. Der prozessualen Weg ist leider nicht leicht, da wir nachweisen müssen, dass der Ticketverkauf von den Plattformbetreibern selbst mit gewerblicher Absicht erfolgt – und nicht durch Privatpersonen. Der BDKV führt zu dieser Frage derzeit vor dem Oberlandesgericht in Hannover einen Prozess gegen den Plattformbetreiber Ticketbande, dessen Ausgang wir mit großer Spannung erwarten. Bei Firmen, die ihren Sitz im Ausland haben – wie z.B. Viagogo in der Schweiz – ist es leider sehr schwer, obsiegende Urteile zu vollstrecken, die in Deutschland erstritten wurden. 

"Wir benötigen gesetzliche Regeln für den Ticketzweitmarkt"

Backstage PRO: Wie kann man den Ticketzweitmarkt überhaupt in den Griff bekommen? 

Prof. Jens Michow: Eine langfristig befriedigende Lösung wird es nur durch eine gesetzliche Regelung geben. Natürlich kann man niemandem, der privat eine Eintrittskarte gekauft hat, den Weiterverkauf verbieten. Der BDKV setzt sich aber – zusammen mit dem DFB – dafür ein, dass Ticketplattformen unter gewissen Umständen verpflichtet sein müssen, Namen und Anschriften ihrer Kunden offenzulegen. Solche Regelungen gibt es im Ausland bereits. Nur so wird man der Behauptung der Plattformbetreiber begegnen können, dass es sich bei allen auf ihren Plattformen angebotenen Tickets um Privatverkäufe handele.  

Da derzeit der Beweis des Gegenteils allein uns obliegt, benötigen wir dringend eine gesetzlich geregelte Beweislastumkehr, die den Anbieter bei begründetem Verdacht verpflichtet, seinerseits den Beweis zu erbringen, dass es sich im Einzelfall um ein Privatangebot handelt. Eine solche Regelung ist dringend erforderlich, denn die Übernahme von StubHub durch Viagogo zeigt, wie lukrativ der Markt ist und dass mit einer Ausweitung des Zweitmarktes zu rechnen sein wird. 

Backstage PRO: Aufgrund der Wirtschaftskraft der Live-Branche zieht diese immer mehr Kapital von Investoren an, beispielsweise von Private Equity Kapital. Betrachten Sie das als Chance oder als Bedrohung? Und wie wird das die Branche verändern?

Prof. Jens Michow: Ich halte das nicht für eine Bedrohung. Es scheint mir eher die wirtschaftliche Konsequenz der stetig steigenden Kostenrisiken beim Einkauf insbesondere von internationalen Produktionen zu sein. In anderen Fällen ist das sicher auch erforderlich, um finanzielle Mittel für eine beabsichtigte Ausweitung des Geschäftsbetriebes zu erhalten. Ich kenne bisher keinen Fall, bei dem Beteiligungspartner Einfluss auf die Geschäftspolitik des jeweiligen Unternehmens genommen haben. Denken Sie nur an die Beteiligungen der Firmen CTS Eventim und DEAG an diversen Veranstaltungsunternehmen. Bei allen Beteiligungen ging es doch darum, die Expertise des Managements der jeweiligen Unternehmen einzukaufen. Der einzige Unterschied liegt bei den von Ihnen zitierten Fällen darin, dass das Kapital aus dem Ausland kommt. Das betrachte ich in Zeiten der Globalisierung nicht als Bedrohung. 

Backstage PRO: Sie raten also davon ab, diese Entwicklung vornehmlich negativ zu betrachten?

Prof. Jens Michow: Ja. Gleiches gilt übrigens auch für die Niederlassung ausländischer Unternehmen in Deutschland. Denken Sie z.B. an Live Nation. Welche Horrorszenarien gab es, als sich Live Nation 2014 in Deutschland niederließ? Die örtlichen Veranstalter bangten um ihre Existenz, da sie ihr Geschäftsmodell wegbrechen sahen. Tourneeveranstalter befürchteten, dass Künstler aufgrund der erheblichen Finanzkraft und der internationalen Möglichkeiten von Live Nation in Scharen zu dem Konzern abwandern würden. Meiner Erfahrung nach, haben sich diese Ängste nicht bewahrheitet. Ich habe weder erfahren, dass ein örtlicher Veranstalter sein Geschäft aufgegeben hat noch habe ich den Eindruck, dass sich der Wettbewerb um Verträge mit internationalen Künstlern grundlegend geändert hat. Marktveränderungen erfordern stets, dass man auch selbst bereit ist, seine Strukturen zu überdenken und neue Geschäftsnischen zu finden. Ich glaube das funktioniert in der Veranstaltungsbranche recht gut. 

"Mit Veränderungen der Marktstrukturen werden wir leben müssen"

Backstage PRO: Der Einstieg von Investoren führt aber zu einer Marktkonzentration.

Prof. Jens Michow: Da ist etwas Wahres dran. Aber dafür haben wir – nicht nur in Deutschland – eine Kartellbehörde, die darauf achtet, dass negative Auswirkungen von Machtkonzentrationen unterbleiben. Gleichwohl lässt sich ja nicht leugnen, dass die Vielfalt der Unternehmenseigner, wie wir sie in der Vergangenheit kannten, abnimmt. Da folgt allerdings auch die Veranstaltungsbranche der Entwicklung, die es in allen anderen Wirtschaftsbereichen seit vielen Jahren gibt. Schauen Sie sich nur mal an, wie viele Tonträgerproduktionsfirmen es in Deutschland noch gibt. Die Marktstrukturen haben sich eben in den letzten Jahren erheblich verändert. Damit werden wir leben müssen.

Backstage PRO: Die Veranstaltungsbranche ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und vor allem einer, der in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen hat. Nimmt die Politik die Bedürfnisse der Branche stärker wahr und welche Rolle soll der BDKV in diesem Prozess spielen bzw. hat er bereits gespielt?

Prof. Jens Michow: Eine unserer wichtigsten Aufgaben ist tatsächlich die Einflussnahme auf die Optimierung der gesetzlichen Rahmenbedingungen unseres Wirtschaftszweiges. Dabei geht es uns übrigens nicht um Steuergeschenke und auch weitaus weniger als in allen anderen Bereichen der Musikwirtschaft um finanzielle Förderung. Aber wir können z.B. nicht einsehen, dass die Kosten für die Anmietung der Elbphilharmonie zum Anlagevermögen eines Veranstalters gerechnet werden, weshalb wir darauf Gewerbesteuer zahlen müssen. 

Backstage PRO: Die Umsatzsteuer zählt sicherlich auch zu den Dauerthemen der Verbandsarbeit.

Prof. Jens Michow: Richtig. Wir haben ein Problem mit der zwangsweisen Befreiung von der Umsatzsteuer. Aufgrund der erheblichen Diskrepanz zwischen dem Umsatzsteuersatz auf Veranstaltungseinnahmen (7%) und dem Umsatzsteuersatz auf sonstige Leistungen (19%)  führt die Steuerbefreiung insbesondere bei defizitären Konzerten zu erheblichen Kostensteigerungen. Einerseits spart man bei der Steuerbefreiung zwar 7% Umsatzsteuer auf die Eintrittseinnahmen. Andererseits kann man bei den Durchführungs– und Produktionskosten, die mit 19% besteuert werden, keinen Vorsteueranspruch geltend machen. Die Entscheidung darüber, ob ein Umsatz von der Umsatzsteuer befreit ist oder nicht steht dabei nicht zur Disposition des Steuerpflichtigen. Es hat uns sehr viel Arbeit gekostet, die Befreiungsaktivitäten der Finanzämter einigermaßen einzudämmen. 

Außerdem haben wir erheblichen Einfluss auf die Gesetzgebung zur beschränkten Steuerpflicht genommen und kämpfen gerade erneut dafür, dass die Freibetragsgrenze bei Einnahmen ausländischer Geringverdiener im Hinblick auf einen gebotenen Inflationsausgleich von 250 auf 450 Euro erhöht wird. Dies scheint uns nach fast 20 Jahren dringend geboten. 

Backstage PRO: Wie genau funktioniert die politische Einflussnahme?

Prof. Jens Michow: Der BDKV ist in zahlreichen Gremien vertreten, so z.B. im Beirat der Künstlersozialkasse oder im Aufsichtsrat der Initiative Musik, sowie in den Fachausschüssen Steuern und Urheberrecht des Deutschen Kulturrates. Neben regelmäßigen Gesprächen mit Abgeordneten und Ministerien veranstalten wir selbst Kongresse, mit denen wir uns das erforderliche Gehör für unsere Probleme verschaffen. So haben wir 2018 den Kongress "Agenda Musikwirtschaft" in Zusammenarbeit mit dem Verlag "Der Tagesspiegel" initiiert, von dem wir 2020 eine Neuauflage veranstalten werden. Wir tun also eine ganze Menge, um die Politik auf unsere Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Die seit 1995 vom damaligen bdv regelmäßig veröffentlichten Studien haben die wirtschaftliche Bedeutung der Veranstaltungswirtschaft veranschaulicht. Schließlich repräsentieren wir mittlerweile einen Marktanteil von rund 5 Milliarden Euro und liegen damit an der Spitze aller deutschen Entertainment-Märkte.

"Die Verbände der Musikwirtschaft sollten mit einer Stimme sprechen"

Backstage PRO: Wie funktioniert die Zusammenarbeit der musikwirtschaftlichen Verbände untereinander?

Prof. Jens Michow: Besser denn je! Wir pflegen regelmäßigen Kontakt untereinander und sind gemeinsam bei allen relevanten Branchenveranstaltungen vertreten. An der von der Initiative Musik ausgerichteten Konferenz Agenda Musikwirtschaft werden ab 2020 alle relevanten Musikwirtschaftsverbände mitwirken und ihren jeweiligen gesetzgeberischen Handlungsbedarf darstellen. Wir sind untereinander sehr gut vernetzt und uns auch darüber im Klaren, dass wir unsere Ziele besser erreichen können, wenn wir gemeinschaftlich mit einer Stimme auftreten.

Backstage PRO: "Gemeinschaftlich" heißt in Form eines neuen Verbandes?

Prof. Jens Michow: Um Gottes Willen, nein!! Kein Mensch benötigt einen weiteren Verband! Aber wenn die maßgeblichen elf Verbände der Musikwirtschaft das gleiche Lied singen, z.B. bei Konferenzen, Gesprächen mit Parlamentariern oder bei gemeinschaftlichen parlamentarischen Abenden werden wir weitaus mehr bewirken, als wenn jeder einzeln an die Türen der Politiker klopft.

Backstage PRO: Politische Lobbyarbeit findet zunehmend auf europäischer Ebene statt, da dort entsprechende Regelungen geschaffen werden. Welche Rolle spielt der BDKV auf der europäischen Bühne?

Prof. Jens Michow: Der bdv war Mitbegründer der European Live Music Association (ELMA), mit Sitz in Brüssel. Ich habe die Ehre, Vizepräsident der ELMA zu sein. Allerdings tun wir uns momentan noch schwer mit dem Aufbau einer zentralen Organisation. Wir haben mittlerweile geeignete Interessenvertreter gefunden, aber deren dauerhafte Beschäftigung ist so kostenintensiv, dass wir sie noch nicht aus den Beiträgen der Mitgliedsverbände finanzieren können. Daher beschränken wir uns auf die Beschäftigung eines Generalsekretärs, der an seinem Wohnsitz in Italien bzw. Griechenland in Teilzeit die vorrangigen Aufgaben erfüllt. Unser Ziel ist es allerdings ein Büro mit eigenen Mitarbeitern in Brüssel zu eröffnen, die in unserem Auftrag die Interessen der gesamten europäischen Live-Wirtschaft wahrnehmen.

Backstage PRO: Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Michow.

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