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Trotz Streaming-Boom

Kann der Musikmarkt jemals zu alter Größe zurückkehren?

Spezial/Schwerpunkt von Eva Dangelmaier
veröffentlicht am 25.06.2021

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Kann der Musikmarkt jemals zu alter Größe zurückkehren?

Der Handel mit CDs hat seinen Zenit bereits seit längerem überschritten, doch Streaming kann die Umsatzeinbußen nicht kompensieren. © Caleb Woods via Unsplash

Trotz des anhaltenden Siegeszuges des Musikstreamings und der wachsenden Popularität von Plattformen wie Spotify, Apple Music und Co. reichen die Einnahmen durch Musikaufnahmen in den USA und Deutschland bei weitem nicht an die Höchststände aus dem Jahr 1999 heran.

Die Musikbusiness-Website Digital Music News hat Daten der Recording Industry Association of America (RIAA) ausgewertet und kommt zu dem Schluss, dass die Gesamteinnahmen der US-amerikanischen Musikindustrie (inflationbereinigt) trotz des Siegeszuges des Streamings noch immer deutlich unter den Einnahmen von vor 20 Jahren liegen. Die schöne neue Streaming-Welt hat also eine ganz offenkundige Schattenseite.

USA: 46 Prozent unter Spitzenniveau

Insgesamt lag der Umsatz durch recorded music laut der Daten der RIAA im Jahr 2020 bei 12,2 Milliarden US-Dollar. Das sind gut 46 Prozent weniger als der im Jahr 1999 erwirtschaftete Spitzenumsatz in Höhe von 22,7 Milliarden US-Dollar. 

Positiv zu vermerken ist hier freilich, dass die Einnahmen damit ihren Tiefstand in den Jahren 2014 und 2015 deutlich überwunden haben: In dieser Zeit der Krise der Musikindustrie lag der Branchenumsatz bei gerade einmal 7 Milliarden Dollar.

Dennoch zeigen die Zahlen, dass es unsicher ist, ob die Musikindustrie, obwohl sie seit 2016 wieder deutlich im Wachstum begriffen ist, durch die derzeitigen Entwicklungen jemals wieder zu ihrer "alten Größe" – dem Umsatz der 90er und frühen 2000er – zurückkehren wird, jedenfalls was Musikaufnahmen angeht. 

Deutschland: Keine Rückkehr zu alter Größe

Auch in Deutschland zeigt sich eine ähnliche Entwicklung. Der Bundesverband Musikindustrie meldet in der jährlichen Publikation "Musikindustrie in Zahlen" aus dem Jahr 2020 einen Branchenumsatz von 1,62 Milliarden Euro.

Umsatzentwicklung der deutschen Musikindustrie 1984-2019

Umsatzentwicklung der deutschen Musikindustrie 1984-2019, © BVMI

Dieser Umsatz liegt auf dem Marktniveau der späten 80er-Jahre, kurz, bevor die Musikindustrie dann in den 90ern einen beispiellosen Höhenflug erlebte und zwischen 1992 und 2001 Umsätze von mehr als 2,5 Milliarden Euro vermelden konnte. 

Und obwohl auch in Deutschland die Branche in den letzten fünf Jahren – nach einem tiefen Tal zwischen 2010 und 2014 – fast kontinuierlich gewachsen ist, liegt der derzeitige Branchenumsatz auch hierzulande noch immer gut 40 Prozent unter dem absoluten Höhepunkt. 

Strukturwandel: recorded music

Die im Vergleich zu den frühen 2000ern deutlich niedrigeren, aktuellen Umsätze der Musikbranche in den USA und Deutschland hängen – wenig verwunderlich – mit dem technologischen Wandel der Branche zusammen

Vor der Jahrtausendwende setzte sich das recorded music-Segment ausschließlich aus physischen Tonträgern zusammen – zuerst Vinyl, dann Tape und daraufhin die Audio-CD, die schlussendlich auch für den Boom der Musikbranche um die Jahrtausendwende herum verantwortlich war. 

Doch mit der steigenden Popularität des Internets liefen digitale Audioformate der CD zunehmend den Rang ab, der unlizenzierte Vertrieb von MP3-Dateien über Filesharing-Portale konnte auch durch das Aufkommen von Download-Portalen wie Musicload und iTunes (2003/2004) nicht eingegrenzt werden.

Siegeszug des Streamings

Während die CD also an Bedeutung verlor (und mit ihr die Umsätze schrumpften), gab es auf Seiten der Musikindustrie lange Zeit keine Möglichkeit, die "verlorenen" Einnahmen anderweitig auszugleichen. Und dann kam Spotify.

Mit dem Start der schwedischen Streaming-Plattform begann der Siegeszug des Audio-Streamings, der der Musikindustrie die Einnahmequelle bescherte, zu der sich Downloads nie entwickelt haben.

Streaming zeichnete sich weltweit dafür verantwortlich, dass der Branchenumsatz weltweit wieder anstieg; Plattformen wie Spotify, Apple Music, Deezer und Co. platzierten sich bald vor die CD als wichtigster Umsatztreiber. 

Spotify als Heilsbringer?

Diesem Narrativ vom Streaming als Heilsbringer stehen die Zahlen von RIAA, BVMI und Co. gegenüber, die deutlich zeigen, dass das durch Audio-Streaming angetriebene Umsatzwachstum deutlich geringer ausfällt als das Wachstum im Zeitalter der CD. 

Der niedrigere Umsatz wiederum steht auch in direktem Zusammenhang mit den geringen Ausschüttungen der Streaming-Plattformen an Labels bzw. Künstlerinnen und Künstler. Laut Daten von Digital Music News zahlt Spotify pro Stream Tantiemen in Höhe von gerade einmal 0,003 und 0,005 US-Dollar.

→ Siehe auch: Spotify wächst an allen Fronten, Mehrheit der Künstler bleibt jedoch auf der Strecke

Die Musiker/innen verlieren

Der vergleichsweise geringe aktuelle Umsatz der Musikindustrie steht also auch in direktem Zusammenhang mit dem Einkommen der Musikerinnen und Musiker. 

Dieses Problem wird insbesondere in der Corona-Pandemie verstärkt: Die noch immer aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sorgen dafür, dass zahlreiche Künstlerinnen und Künstler nicht auftreten können. Im Frühjahr 2020 ist eine für viele Künstlerinnen und Künstler lebenswichtige Einkommensquelle einfach eingebrochen.

Die Tatsache, dass zahlreiche Künstler darüber hinaus keine oder nur wenige staatliche Hilfen erhielten bzw. erhalten, vergrößert das Problem der geringen Streaming-Auszahlungen wie ein Brennglas. Deshalb fordern Musiker/innen die Streaming-Dienste auch gerade jetzt auf, die Auszahlungen zu erhöhen

Dies hat zunehmend auch Auswirkungen auf die Veröffentlichung von geistigem Eigentum. So kam es im vergangenen Jahr zu einem massiven Boom des Verkaufs von Songkatalogen und dadurch auch zu vielen Auszahlungen für Künstlerinnen und Künstlern bzw. Songwriter/innen. Auslöser für die Deals war jedenfalls teilweise die schwierige Lage in der Pandemie.

Und die Labels?

Grob vereinfacht könnte man also sagen, dass es derzeitig die Künstlerinnen und Künstler sind, die unter dem vergleichsweise verhaltenen Umsatzwachstum zu leiden haben – und das, während die (Major-)Labels – Warner, Universal und Sony – auch in der Pandemie Profite einfahren. 

Denn auch, wenn die niedrigen Auszahlungen der Streaming-Plattformen an sich natürlich kritikwürdig sind, darf darüber hinaus nicht vergessen werden, dass gerade die Big Three-Major-Labels allesamt Verträge mit Spotify und Co. geschlossen haben und an dem derzeitigen Streaming-Boom mitverdienen. 

Labels profitieren vom Streaming, während Bezahlung für Musikschaffende zu niedrig ist.

Verlangsam des Wachstums 

Ob sich die Situation für Musikerinnen und Musiker künftig verbessern wird, bleibt fraglich: Bereits jetzt ist eine Verlangsamung des Wachstums von kostenpflichtigen Streaming-Musik-Abonnements zu beobachten.

Zwischen Januar und März 2021 belief sich die Zahl der durchschnittlichen User pro Monat (MAUs) bei Spotify auf 356 Millionen. Dies ist ein Anstieg um elf Millionen im Vergleich zum vierten Quartal 2020. Bei der Zahl der zahlenden User sah es jedoch anders aus: Hier wurde ein Anstieg von nur drei Millionen Usern verzeichnet – im Jahresvergleich ein Anstieg von immerhin 21 Prozent, im Vergleich zum Vorjahresquartal ein Wachstum um bloß zwei Prozent. 

Es bleibt unklar, ob sich dieser scharfe Kurs fortsetzen wird – was wiederum die Frage eröffnet, wie die Auszahlungen von Spotify sich im Angesicht potentiell stagnierender oder sogar sinkender Nutzerzahlen entwickeln werden. 

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