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"Jede seriöse Planung ist unmöglich"

Prof. Jens Michow vom BDKV über die Folgen der Coronakrise für die Veranstaltungsbranche

Interview von Daniel Nagel
veröffentlicht am 25.08.2020

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Prof. Jens Michow vom BDKV über die Folgen der Coronakrise für die Veranstaltungsbranche

Prof. Jens Michow, geschäftsführender Präsident des Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft (BDKV) e.V. © Klaus Westermann

Die Veranstaltungswirtschaft leidet wie keine andere Branche unter der Coronakrise. Wir sprachen mit Prof. Jens Michow, Präsident des BDKV, über unpassende Hilfsprogramme, Konzerte unter Corona-Bedingungen und die umstrittene Gutscheinregelung für Konzertkarten.

Backstage PRO: Herr Prof. Michow, Ende April haben Sie erklärt, viele Veranstalter würden nur noch bis Ende August durchhalten. Wird sich diese düstere Prognose bewahrheiten?

Prof. Jens Michow: Das wird sich zeigen, wenn die durch das Konjunkturpaket ausgesetzte Insolvenzantragspflicht wieder in Kraft tritt. Das Problem vergrößert sich, da nicht zu erwarten ist, dass das Veranstaltungsgeschäft Anfang Oktober wieder uneingeschränkt losgehen wird.

Nach derzeitigem Stand werden lediglich Veranstaltungen möglich sein, bei denen zwischen den Besuchern bzw. den Plätzen ein Abstand von 1,50m gewahrt wird. Auf dieser Grundlage lassen sich Konzerte aber nicht wirtschaftlich durchführen. 

Backstage PRO: Warum nicht?

Prof. Jens Michow: Beispielsweise werden Spielstätten sicher nicht ihre Preise proportional senken. Die Elbphilharmonie und die Laeiszhalle in Hamburg haben den Veranstaltern noch vor kurzem schriftlich mitgeteilt, dass Restriktionen der Besucherzahl allein das Betriebsrisiko der Veranstalter seien und keine Minderungsansprüche des Mietpreises begründen würden. Wie ich zwischenzeitlich gehört habe, wurde diese Erwartung nunmehr zurückgenommen und es wird, wenn ich richtig informiert bin, nunmehr zeitanteilig abgerechnet.

Das Publikum wird außerdem kaum bereit sein, den vierfachen Ticketpreis zu zahlen. Die Kosten für Hotels, Flugtickets und Werbung sinken ebenfalls nicht. Geld lässt sich also bei Einhaltung von Abstandsregeln definitiv nicht verdienen. Wie viele Unternehmen diese Zeit nicht mehr durchhalten können, wird sich wohl in Kürze zeigen.

Backstage PRO: Wie hoch ist der Schaden, den die Veranstaltungsbranche erlitten hat und im Verlauf des restlichen Jahres noch erleiden wird?

Prof. Jens Michow: Die maßgeblichen Verbände der Musikwirtschaft haben dazu bereits im März einen Bericht vorgelegt, in dem die Einnahmeverluste aller Sektoren des Wirtschaftsbereichs bis Ende September dargestellt wurden. Wir haben darin dargelegt, dass die Musikwirtschaft insgesamt Verluste in Höhe von rund 5,5 Milliarden Euro erlitten hat. Davon entfiel mit rund 4,3 Milliarden Euro der größte Teil auf Konzert-, Tournee- und Festivalveranstalter sowie Künstlervermittler.

Die Verbände haben sodann im April einen Hilferuf veröffentlicht, mit dem sie von der Politik 10% dieses Einnahmeverlustes als Billigkeitsmaßnahme zur Kompensation der entgangenen Einnahmen – mithin ca. 1/3 des Betrages - forderten. Wie wir nunmehr wissen, sind daraus im Programm "Neustart Kultur" 150 Millionen geworden, wobei die Tonträgerwirtschaft und die Musikverleger ebenso wie der Instrumentenfachhandel als integrale Sektoren der Musikwirtschaft unverständlicherweise jedenfalls zunächst als Betroffene gar nicht berücksichtigt wurden.

"Die Hilfsprogramme passen nicht auf die Wertschöpfungsketten der Musikindustrie"

Backstage PRO: Politiker aller Parteien haben wiederholt den Stellenwert der Kultur betont, die Bundesregierung hat milliardenschwere Programme aufgelegt, dazu gibt es zahlreiche Programme der Länder. Inwiefern helfen diese der Kultur- und Veranstaltungsbranche aber auch tatsächlich?

Prof. Jens Michow: Die Hilfsangebote des Bundes und der Länder sind beeindruckend, passen aber in vielen Fällen nicht auf die in der Musikwirtschaft miteinander verzahnten Wertschöpfungsketten. Das Überleben der Musikwirtschaft mit ihren diversen Teilbranchen kann daher nur durch gesonderte Maßnahmen gesichert werden, die sich an ihrem konkreten Bedarf orientieren.

Ich lasse mal die sehr unterschiedlichen von den Bundesländern gewährten Hilfen außen vor und konzentriere mich auf die beiden Konjunkturpakete des Bundesfinanzministeriums. Kommen wir als erstes zu den Krediten: Viele Unternehmen sind in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung organisiert, um das Privatvermögen der Gesellschafter zu schützen.

Wenn nun ein solches Unternehmen aufgrund der Corona-Pandemie unverschuldet in wirtschaftliche Not gerät und einen Bankkredit beantragen möchte, müssen sich regelmäßig die Gesellschafter persönlich dafür verbürgen. Es dürfte nachvollziehbar sein, dass dazu kaum jemand bereit ist. Kaum jemand ist in der aktuellen Situation imstande, bei seriöser Planung die Last der pünktlichen Rückzahlung eines solchen Kredites zu übernehmen.

Backstage PRO: Welche Rolle spielt Kurzarbeit in der aktuellen Situation?

Prof. Jens Michow: Das Kurzarbeitergeld hilft insbesondere den größeren personalstarken Unternehmen. Ein Großteil der Unternehmen in der Veranstaltungsbranche hat aber zumeist nur wenige Mitarbeiter, die im Unternehmen vor allem zur Rückabwicklung ausgefallener Konzerte gebraucht werden. Das Kurzarbeitergeld ist mithin geeignet, Schäden zu minimieren. Aber damit werden die Verluste nicht ausgeglichen, die durch die Konzertabsagen und die dafür nutzlos aufgewandten Vorbereitungskosten entstanden sind.

“Die Hilfen reichen nicht zum wirtschaftlichen Überleben”

Backstage PRO: Wie sieht es mit den Überbrückungshilfen aus?

Prof. Jens Michow: Auch der jetzt angekündigte Überbrückungszuschuss hilft uns nicht. Erstattet wird maximal ein Anteil von bis zu 80% der Fixkosten bei mehr als 70% Umsatzeinbruch. Bei Unternehmen bis zu fünf Mitarbeitern liegt die Grenze dieses Zuschusses allerdings bei 9.000 €, bei bis zu 10 Mitarbeitern bei bis zu max. 15.000 €.

Aber die zur Berechnung der Höhe des Zuschusses zugrunde zu legenden fixen Betriebskosten bestehen im Veranstaltungsgeschäft zumeist nur aus Personal-, Miet- und Telefonkosten, weil alles andere an Dienstleistungsunternehmen outgesourct wird. Angesichts der geringen Höhe der Hilfen mögen Unternehmen, denen über sechs Monate alle Einnahmen weggebrochen sind, damit zwar noch gerade für zwei bis drei Monate ihre Miete zahlen können – zum wirtschaftlichen Überleben reichen diese Beträge allerdings nicht.

Backstage PRO: Die Hilfen scheinen auch nicht auf alle Dienstleister der Branche zu passen.

Prof. Jens Michow: Richtig. Überhaupt nicht akzeptabel ist die Tatsache, dass die Künstlervermittler, also die Unternehmen, die Konzerte und Tourneen für Künstler planen und die Veranstaltungsverträge mit Veranstaltern akquirieren, bisher völlig leer ausgehen. Obwohl sie im Programm “Neustart Kultur” ausdrücklich erwähnt sind, erlauben die Fördergrundsätze nur die Förderung von Projekten.

Da Künstlervermittler allerdings Dienstleister sind, die keine Gewinne aus Projektabwicklungen erzielen, sondern mit Provisionen an den Umsätzen der Künstler beteiligt sind, ist eine Förderung über die Mittel der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) rechtlich ausgeschlossen. Wir kämpfen daher nun dafür, dass den Vermittlern durch das Bundesministerium für Wirtschaft geholfen wird.

"Die Politiker sind bereit, uns im Rahmen des Möglichen zu helfen"

Backstage PRO: Erkennen Sie bei der Politik einen Willen zu helfen? Oder sind die Politiker gar nicht bereit der Branche zu helfen, weil sie erwarten, dass die Unternehmen der Veranstaltungsbranche in die Insolvenz gehen und dann neu entstehen bzw. wieder aufgebaut werden, wenn es wieder Veranstaltungen unter normalen Bedingungen gibt?

Prof. Jens Michow: Solche abstrusen Aussagen hat es am Anfang der Krise tatsächlich gegeben. Nach fast einem halben Jahr, welches seit Ausbruch der Krise verstrichen ist, ist allerdings wohl jedem Politiker klar geworden, dass es sich verbietet, hier von einer üblichen Marktbereinigung zu sprechen. Die Politiker sind heute durchaus bereit, uns im Rahmen des Möglichen zu helfen. Das haben sie ja bereits in beachtlicher Weise durch die gesetzliche Verankerung der sog. Gutscheinregelung getan.

Backstage PRO: Diese bis Ende 2021 befristete Regelung erlaubt es Veranstaltern, einen Gutschein für Konzerttickets auszustellen, anstatt den Kaufpreis zurückzuerstatten.

Prof. Jens Michow: Genau. Es war wirklich keine Selbstverständlichkeit, dass damit elementare Grundsätze unseres Zivilrechts – nämlich das Recht auf Rückzahlung des Kaufpreises bei Nichterfüllung des Vertrages – zur Minderung der Auswirkungen der Krise außer Kraft gesetzt wurden. Den Politikerinnen und Politikern, die das für die Live-Veranstaltungsbranche gegen die Stimmen der Opposition durchsetzt haben, gebührt unser aufrichtiger Dank.

Gleiches gilt auch für die Tatsache, dass nun im Programm “Neustart Kultur” bei den Hilfen für die Musikwirtschaft expressis verbis der Live-Bereich aufgeführt wurde. Wir sind für das, was bisher für uns getan wurde, also durchaus dankbar. Wir weisen aber auch in aller Deutlichkeit darauf hin, dass gleichwohl ohne weitere Hilfen eine Reihe von Unternehmen auf der Strecke bleiben werden, da ihnen trotz der nun über die BKM gewährten Hilfen die Mittel fehlen werden, um die hohen Risiken, die mit der Durchführung von Konzerten verbunden sind, auch zukünftig zu tragen.

“Wir wehren uns gegen keine Maßnahme, die dem Infektionsschutz dient”

Backstage PRO: Marek Lieberberg hat mit seiner Ankündigung des für 4. September in Düsseldorf geplanten Konzertes "Give Live A Chance" sehr viel Aufmerksamkeit erzeugt. Unter welchen Bedingungen könnten größere Konzerte (ab 1.000 Besuchern) wieder stattfinden?

Prof. Jens Michow: Ich wünsche Marek Lieberberg viel Erfolg für das Konzert in Düsseldorf. Es ist mit der Planung des Konzertes bereits im Vorwege gelungen, eine Diskussion darüber in Gang zu setzen, ob man Veranstaltern auch dann die Durchführung von Veranstaltungen untersagen kann, wenn sie gewährleisten, dass sie alle behördlichen Anordnungen penibel einhalten.

Das Stattfinden dieses Konzertes wäre tatsächlich ein Signal dafür, unter welchen Bedingungen Veranstaltungen wieder durchgeführt werden dürfen – auch wenn damit kein Geld verdient wird. 

Backstage PRO: Wie kann es gelingen, eine Balance zwischen den Interessen der Veranstalter und den Notwendigkeiten des Infektionsschutzes herzustellen?

Prof. Jens Michow: Die Veranstaltungswirtschaft wird sich gegen keine Maßnahme wehren, die dem Infektionsschutz dient. Wir fordern nur klare Ansagen unter welchen Voraussetzungen es in welchem Umfang weitergehen kann. Da Veranstaltungen unter Einhaltung von Abstandsregeln nicht wirtschaftlich durchgeführt werden können, wollen wir wissen, welche Parameter erfüllt sein müssen, damit die Hallenkapazitäten wieder ausgeschöpft werden können.

Wir gehen davon aus, dass Veranstaltungen ohne Maßnahmen des Infektionsschutzes erst wieder stattfinden können, wenn ein Impfstoff auf dem Markt ist. Aber sofern geplant ist, bis dahin alle Restriktionen aufrecht zu erhalten, möchten wir das endlich klar und deutlich mitgeteilt erhalten. Bisher gilt das Veranstaltungsverbot nämlich nur bis Ende Oktober. Aber man müsste doch heute schon sagen können, was unter welchen Bedingungen danach möglich sein wird. Ansonsten wird Veranstaltern jede seriöse Planung unmöglich gemacht.

“Die Gutscheinregelung ist ‘Verbraucherschutz pur’”

Backstage PRO: Die von Ihnen bereits erwähnte Gutscheinregelung ermöglicht Veranstaltern, den Kartenpreis nicht zurückzuerstatten, sondern einen Gutschein auszustellen. Sie unterstützen diese Regelung, weil sie den Veranstaltern hilft, aber wahrt sie auch die Interessen der Verbraucher und Künstler?

Prof. Jens Michow: Auch wenn Verbraucherschützer das anders sehen: aus meiner Sicht ist die Gutscheinregelung “Verbraucherschutz pur”. Der größte Teil der Tickets, deren Kaufpreis aufgrund der Veranstaltungsabsagen zu erstatten gewesen wäre, wäre nicht mehr das Papier wert gewesen, auf dem es gedruckt wurde.

Die meisten Veranstalter hätten sofort Insolvenz anmelden müssen, da sie das vereinnahmte Geld längst in die Konzerte investiert hatten. Daher liegt die Regelung durchaus auch im Interesse der Kartenkäufer. Auch wenn gemutmaßt wird, dass der Gutschein wertlos werden könnte, weil der Veranstalter später Insolvenz anmeldet, ist es doch allemal besser, die Chance zu haben, den Gutschein gegen ein späteres Konzert einlösen zu können anstatt den Veranstalter sofort in die Insolvenz zu drängen.

Backstage PRO: Herzlichen Dank für das Gespräch.

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