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7 Milliarden Dollar für Musikrechte

Was steckt hinter der Kritik an Spotifys Transparenzbericht?

Spezial/Schwerpunkt von Backstage PRO
veröffentlicht am 29.03.2022

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Was steckt hinter der Kritik an Spotifys Transparenzbericht?

© Spotify

Spotify lobt in einem neuen Bericht den eigenen Einsatz für Musikerinnen und Musiker. Doch was steckt hinter dem Transparenzbericht des Streaming-Riesen?

Der schwedische Audiostreaming-Service Spotify entwickelte im Jahr 2021 die Website "Loud & Clear" mit dem Ziel, das eigene Geschäftsmodell transparenter zu gestalten sowie kontinuierlich aktuelle Daten zum "Ökosystem Musikstreaming" zu liefern. 

Spotify reagierte damit u.a. auf die anhaltende Kritik an der eigenen Auszahlungspraxis, die in jüngster Zeit u.a. im Kontext der Bekanntgabe eines millionenschweren Sponsorings des Fußballvereins FC Barcelona durch Spotify wieder verstärkt geäußert wurde.

Die Macht der großen Zahlen

Jetzt veröffentlicht Spotify über Loud&Clear eine Auswertung relevanter Unternehmensdaten aus dem Jahr 2021 und stellt folgende Key Findings vor: 

  • Zwischen Januar und Dezember hat Spotify sieben Milliarden Dollar an Rechteinhaberinnen und -Inhaber ausgezahlt
  • So hat die Plattform 2021 mehr Geld an Rechteinhaber/innen ausgeschüttet haben als jede andere Streamingplattform im gleichen Jahr
  • Die sieben Milliarden Dollar sollen außerdem die bis zum jetzigen Zeitpunkt höchste jährliche Auszahlung eines Vertriebsservices an die Musikindustrie darstellen

Der addierte Umsatz der Streamingdienste im Jahr 2021 soll darüber hinaus den jährlichen Gesamtzumsatz der Musikindustrie zwischen 2009 und 2016 übertroffen haben: Während die Musikindustrie in ihrem schlechtesten Jahr 2014 gut 14,2 Milliarden Dollar umsetzte, erwirtschaftete das Streaming-Segment 2021 insgesamt 16,9 Milliarden Dollar. 

Bessere Bedingungen auf Spotify?

Spotify gibt weiterhin an, dass erstmals über 1.000 Künstler/innen jährliche Einnahmen von mehr als einer Million US-Dollar auf Spotify erzielt haben. 450 Artists sollen über zwei Millionen Dollar generiert haben, 130 Artists sogar über fünf Millionen. 50.000 Künstler/innen weltweit hätten darüber hinaus über 10.000 US-Dollar via Spotify eingenommen.

Dabei gilt es zu bedenken, dass viele Künstlerinnen und Künstler ihre Musik nicht via Direktupload, sondern vermittels eines Labels auf Spotify zur Verfüng stellen und somit häufig nur einen geringen Teil der Ausschüttungen von Spotify erhalten

Spotify nimmt diesen Einwand implizit vorweg und hebt hervor, dass über 28 Prozent der Künstler/innen, die auf der Plattform mehr als 10.000 US-Dollar erwirtschaftet haben, ihre Musik entweder selbstständig oder durch Distributoren hochgeladen hätten; ein Anstieg um 171 Prozent seit 2017. 

Vielseitig aufgestellt

Wie jedoch die Musikbusiness-Website CMU zu Recht feststellt, sind Einnahmen in Höhe von 10.000 Dollar (oder auch mehr) selbst für einigermaßen erfolgreiche (Solo-)Musiker/innen (oder auch Songwriter/innen) nicht zum Lebensunterhalt ausreichend – es sei denn, sie erwirtschaften Einnahmen aus anderen Bereichen.

Es überrascht daher wenig, dass Spotify auch angibt, dass die Artists aus dem "10.000 Dollar und mehr"-Segment "höchstwahrscheinlich" über 40.000 Dollar aus weiteren Einnahmequellen im Bereich der Recorded Music eingenommen haben.

Spotify setzt hier also implizit Nebeneinkünfte aus anderen Bereichen der Recorded Music voraus, also z.B. aus Tonträgerverkäufen, Sync oder Aufführungsrechten – Einnahmequellen, die sicherlich nicht jeder aktuell populäre Musikschaffende bereits erschlossen hat. 

Stichwort live

Auffällig ist auch, dass Spotify in seinem Bericht nicht auf zusätzliche Einnahmen durch den sonst für viele Artists wichtigen, weil ertragreichen Live-Sektor verweist. Gerade die ausbleibenden Umsätze durch Live-Shows aufgrund der Corona-Krise sorgten nämlich im Jahr 2020 für reichlich Kritik im Rahmen der "Justice at Spotify"-Initiative. 

Diese Initiative warf Spotify vor, dass die meisten Musiker/innen ohne weiteres Einkommen nicht von den Ausschüttungen der Streaming-Plattform leben können, während Spotify kontinuierlich wächst. Gerade das Wegbrechen der Live-Umsätze machte dies besonders deutlich, weshalb Justice at Spotify eine signifikante Erhöhung der Tantiemen als Reaktion auf das globale Pandemiegeschehen forderte.

Mehr Stars

Spotify erläutert in seinem Bericht weiterhin, dass im Jahr 2021 nur zwölf Prozent der US-Streams auf Top-50-Künstler/innen entfielen – auf dem Höhepunkt der CD-Ära waren es fast 25 Prozent der Verkäufe. Für den aktuellen Musikmarkt bedeute dies, dass auch Musikerinnen und Musiker, die (noch) keine Superstars sind, wesentlich bessere Einnahmechancen hätten. 

Weiter heißt es, dass über zehn Prozent der Künstler/innen, die 2021 mehr als 10.000 US-Dollar verdient haben, ihre ersten Songs in den vergangenen zwei Jahren veröffentlicht hätten. 350 dieser Musiker/innen hätten 100.000 US-Dollar über Spotify erwirtschaftet, heißt es weiter. 

Die wachsende Mittelschicht

Diese Entwicklung bedeutet einerseits das Wachstum einer musikalischen "Mittelschicht" (also dem Bereich zwischen "Popstar" und "Nischenmusik"). Dieses stärkere Interesse für Künstlerinnen und Künstler abseits der "großen" Popstars ist eine positive Entwicklung und unter Umständen ein Indiz für einen langsamen Umbruch im Musikbusiness. 

Gleichzeitig offenbart diese Entwicklung erneut die Schattenseiten von Spotifys Geschäftsmodell: Jede Erfolgsmeldung und jede große Zahl im Loud&Clear-Bericht steht eben auch für zahlreiche Musikerinnen und Musiker, die durch Streaming bzw. die Einnahmen durch ihre Spotify-Streams nicht leben können – und das nicht zuletzt, weil die Ausschüttungen von Spotify eben so niedrig sind. 

The Verge illustriert dies recht simpel: Laut Spotify gibt es auf der Plattform über 8 Millionen Artists, von denen wiederum gut 2,6 Millionen über zehn Songs hochgeladen haben. Von diesen 2,6 Millionen Künstler/innen schaffen es gerade einmal 165.000 auf durchschnittlich 10.000 Streams im Monat – während jedoch laut Loud&Clear-Bericht nur 52.600 Acts mindestens 10.000 Dollar verdienen. 

Die Schattenseiten

Der Transparenzbericht des Streamingriesen zeigt also nicht zuletzt, dass die anhaltende Popularität des Musikstreamings auch eine (Über-)Sättigung des Musikmarktes vorantreibt: Die Hürden für Musikerinnen und Musiker, ihre Musik zu veröffentlichen, sinken zwar kontinuierlich – und die Chancen für bestimmte Musiker/innen, zumindest einigermaßen bekannt zu werden, steigen.

Damit wird es jedoch für eine immer größer werdende Zahl an Musiker/innen immer schwieriger, sich einzureihen in die Riege der Musikschaffenden, die in der Lage sind, nur durch Streaming zumindest einigermaßen zu überleben. 

Im Großen und Ganzen

Darüber hinaus wirft der Bericht erneut das Schlaglicht auch auf die Rolle der Musiklabels: Die Frage ist, inwiefern es gerechtfertigt sein kann, dass Musiker/innen häufig nur Bruchteile der sowieso schon geringen Tantiemen der Streaming-Dienste erhalten, während sie die Kunst liefern, die die Grundlage sowohl Spotify und Co. als auch für die Musiklabels darstellt.

Auch, wenn Spotifys Loud&Clear-Kampagne in erster Linie einen Versuch darstellt, sein angeschlagenes Image durch überwältigend postiv wirkende Zahlen zu verbessern – neben dem Barcelona-Sponsoring fiel das Unternehmen auch durch die Neil Young/Joe Rogan-Kontroverse sowie die Investition von Spotify-CEOs Daniel Ek in ein Militär-Startup auf –, stellt es gleichzeitig einen interessanten Einblick in den aktuellen Stand der Plattformökonomie dar.

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